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Tod eines Mathematikers

Tod eines Mathematikers

Titel: Tod eines Mathematikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Herrnkind / Walter K. Ludwig
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an denen Schach gespielt wurde. Jeweils zwei Kontrahenten saßen sich gegenüber, an einigen Tischen standen interessierte Zuschauer.
    »Wow«, raunte Matze Harry zu, als sie den Raum betraten, »hier kann der Denksport wirklich prächtig gedeihen.«
    »Hab ich dir ja gesagt, das ist der beste Schachklub in Bremen«, raunte Harry zurück.
    »Auf jeden Fall der Älteste«, meinte ein rüstiger Mittsechziger mit weißen Haaren und offenbar guten Ohren leutselig, der hinter Harry und Matze das Foyer betreten hatte.
    Harry und Matze fuhren herum. »Tatsächlich?«, fragte Matze nach.
    Der Mittsechziger lächelte so selbstbewusst, als habe er zu den Gründervätern gehört. »Das will ich doch wohl meinen«, bestätigte er und drückte sein Kreuz durch. »Der Klub existiert seit 1882. Johann Godefried Grotehuisen hat ihn seinerzeit ins Leben gerufen. Und seitdem existiert er ununterbrochen. Sogar während der beiden Weltkriege wurde hier unverdrossen Schach gespielt. Und ›hier‹ meine ich wortwörtlich. Nämlich immer genau in diesem Raum. Die Villa gehörte nämlich dem Vereinsgründer, er hat sie dem Verein vermacht.«
    »Donnerwetter, das nenne ich Liebe zum Schach«, schleimte Matze, »und Sie sind wohl auch schon lange dabei, nehm ich an?«
    Genau auf diese Frage schien der Alte gewartet zu haben. »Das kann man so sagen. Und zwar seit fünfundfünfzig Jahren. Gestatten: Willich. Ernst Willich.« Der Schach-Enthusiast gab Harry und Matze die Hand und die beiden stellten sich ebenfalls vor.
    »Ernst, schön dass du wieder mal da bist.«
    Ein etwa achtzigjähriger Mann kam auf Willich zu und klopfte ihm auf die Schulter. »Und mein Beileid noch mal. Es tut mir so leid.«
    »Ich danke dir, Enno, ich danke dir«, antwortete Willich. Die alten Männer drückten einander die Hand. Harry und Matze nickten ihrem neuen Bekannten freundlich zu und gingen diskret weiter.
    »Enno gehört bestimmt zu den Gründervätern«, flüsterte Matze, Harry grinste.
    Vor ein paar Tagen hatten sie in Harrys Wohnung zum ersten Mal gegeneinander Schach gespielt; nach turbulentem Kampf hatten sie sich auf Remis geeinigt.
    Der Bulle hat’s faustdick hinter den Ohren, es mit dem aufzunehmen, wird nicht einfach sein, hatte Matze gedacht.
    Dieser Knipser ist ein Schlitzohr, den sollte man nicht unterschätzen, war Harry nach der Partie durch den Kopf gegangen. Nun war dringend Weiterbildung angesagt.
    Zum Schnuppersonntag der Schachliga war eine bunte Truppe zwischen fünfzehn und fünfundachtzig Jahren in die Villa gekommen. Picklige Teenager, distinguierte, ältere Herren im Jackett. Kaum Frauen und Mädchen. Harry und Matze gingen zwischen den Tischen hin und her, schauten den Spielern zu und waren sich schnell einig, dass sie es diesmal noch beim Zuschauen belassen sollten, das allgemeine Niveau war einfach zu hoch.
    »Na, meine Herren, nicht so schüchtern. Wie wär’s mit einer Partie? Wer von Ihnen möchte?«, versuchte Ernst Willich, sie zu ermuntern.
    Harry und Matze winkten ab. »Wir spielen beide zwar gerne, aber nicht gut«, meinte Matze entschuldigend.
    »Wir haben erst kürzlich wieder angefangen«, fügte Harry hinzu.
    Willich ließ nicht locker. »Dann lassen Sie sich wenigstens zu einem Kaffee einladen.« Harry und Matze nahmen das Angebot gerne an und ihr Gastgeber geleitete sie in einen Nebenraum, in dem Getränke und Kuchen serviert wurden. Sie setzten sich an einen Tisch, Willich orderte Kaffee.
    »Wissen Sie, es gibt ja nur zwei Sorten von Menschen«, dozierte er, »solche, die Schach spielen, und solche, die nicht Schach spielen. Und Sie sind Schachspieler, alle beide. Das habe ich sofort gesehen.«
    »Ach, woran denn?«, erkundigte sich Matze.
    »An Ihren Augen. An der Art, wie Sie Ihre Umgebung beobachten.«
    »So? Wie denn?«
    »Analytisch. Mit hellwachem Verstand. Und wissen Sie was? Sie sind nicht nur Schachspieler, sondern verdammt gute Schachspieler. Das sehe ich Ihnen an. Auch wenn Sie lange Zeit nicht mehr gespielt haben. Aber das kommt wieder, das kommt wieder, da können Sie sicher sein.«
    Matze und Harry lächelten geschmeichelt.
    »Herr Willich, jetzt mal ganz unter uns: Sie sind nicht zufällig für die Öffentlichkeitsarbeit der Schachliga zuständig? Und gerade in Sachen Mitgliederwerbung unterwegs?«, grinste Matze.
    Willich schmunzelte: »Ertappt. Ich sag’s ja: analytisch und hellwach. Und immer auf der Hut. Nicht wahr? Immer auf der Hut, der Herr Grothe, ja, ja. Ich gestehe. Und ich bin nicht nur

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