Tod eines Mathematikers
die Kolmogorow-Medaille, nicht bekommen, und deswegen war er sehr enttäuscht. Er hatte fest damit gerechnet. Stattdessen ging der Preis an einen Professor aus Aachen, den er nicht leiden konnte. Das hat ihn maßlos geärgert.«
»Na ja, wenn jeder, der einen Preis nicht bekommt, sich gleich umbringen würde …«, hielt Matze dagegen.
»Wie gesagt, das war nicht der einzige Grund, sondern der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der Professor war ein sehr empfindsamer Mensch.« Willich merkte, dass er seine Gesprächspartner verblüfft hatte. »Jetzt fragen Sie sich sicher, woher ich das alles weiß.« Harry und Matze nickten.
»Nun, ich kannte den Professor persönlich. Nicht nur meine Frau hat für ihn gearbeitet, sondern auch ich. Ich habe mich um seinen Garten gekümmert, die ein oder andere Reparatur im Haus durchgeführt, solche Dinge, die einem Akademiker nicht so liegen. Den Professor und mich verband eine gemeinsame Leidenschaft. Sie ahnen es sicher …«
Harry und Matze nickten.
»Genau, das Schachspiel. Katzenstein lernte unglaublich schnell, guckte sich die besten Züge von mir ab. Am Ende war er ein exzellenter Schachspieler, wenngleich er mich auch nie geschlagen hat. Trotzdem hat er die Partien mit mir sehr genossen. Ich will jetzt nicht überheblich wirken, aber ich glaube, nicht zuletzt das hat ihn all die Jahre noch am Leben gehalten. Am Schachbrett blühte er jedenfalls richtig auf. Hätte er das nicht gehabt, hätte er vielleicht schon viel früher … Aber wer weiß das schon.«
Matze und Harry waren nachdenklich geworden. Was Willich sagte, klang plausibel. Sollte Alexandra mit ihrem Verdacht, ihr Vater sei ermordet worden, völlig auf dem Holzweg sein?
Matze wagte einen letzten Vorstoß: »Gut, für sich selber den Freitod zu wählen, ist eine Sache. Aber einen anderen Menschen dabei mit in den Tod zu reißen …«
Willich schüttelte den Kopf: »Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. War Prof. Katzenstein denn so gewissenlos?, wollen Sie mich fragen. War ihm denn alles egal?«
Matze nickte.
»Nein, war er nicht. Dass meine Frau durch ihn zu Tode kam, dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung: Der Professor war vergesslich. Soll ja gelegentlich vorkommen bei Professoren. Er hatte ganz einfach vergessen, dass meine Frau an diesem Tag zu ihm kommen wollte. Manchmal hat er auch vergessen, ihr den Lohn pünktlich auszuzahlen. Nicht etwa aus Geiz, sondern weil er einfach wirklich nicht dran gedacht hatte. Hinterher war es ihm dann immer äußerst peinlich und er hat noch ordentlich was draufgelegt.«
Die Erinnerungen an seine Frau und den Professor schienen Willich zu berühren. Er war auf einmal gar nicht mehr leutselig, sondern wirkte bedrückt.
Harry und Matze verabschiedeten sich kurz darauf.
»Das mit dem Mord an ihrem Vater müssen wir Alexandra unbedingt ausreden, die verrennt sich da in was«, sagte Matze zu Harry, als sie die Villa verlassen hatten und zu Harrys Auto gingen.
»Sehe ich genauso«, stimmte Harry zu. »Das ist übrigens ein Phänomen, das häufig vorkommt: Hinterbliebene wollen es nicht wahrhaben, dass sich ein Familienangehöriger umgebracht hat und spinnen dann alle möglichen Theorien zusammen. Wir hatten da kürzlich erst so einen Fall. Da hing einer im Park am Baum und seine Eltern und der Rest des Clans schrien Zeter und Mordio. Dabei waren die Ergebnisse der Kriminaltechnik und der Rechtsmedizin eindeutig.«
Sie hatten Harrys klapprigen Kadett erreicht und stiegen ein. Harry startete den Motor und fuhr los. Matze war erleichtert, dass die Zweifel am Selbstmord von Prof. Katzenstein ausgeräumt waren. Ihm reichte es jedenfalls völlig, nur mit einem Mord zu tun zu haben, nämlich dem an Nicole Wollenbeck.
»Jetzt müssen wir bloß noch überlegen, wie wir das Alexandra beibringen«, sagte Harry.
»›Bloß‹ ist gut«, antwortete Matze. »Die Katzenstein ist stur wie Nordkorea und glaubt grundsätzlich nur das, was sie glauben will. Argumenten gegenüber ist sie völlig unzugänglich. Rechthaberisch. Hysterisch. Typisch Frau halt.«
Harry grinste. »Ich weiß genau, was du meinst, Kumpel.«
*
Die Begegnung mit Katja Dorn ließ mir keine Ruhe. Im Telefonbuch suchte ich nach Lieselotte Klemm. Bei meinem Besuch in Neuwarden hatte ich nicht vorgehabt, sie aufzusuchen, war nur neugierig auf den Ort gewesen. Jetzt musste ich die alte Freundin meiner Mutter sprechen. Meine Mutter hatte Lieselotte Klemm zwar nie erwähnt. Aber
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