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Tod für Don Juan

Tod für Don Juan

Titel: Tod für Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Teil)
     
    Lewis sah, wie die Silhouette
hinter dem Milchglas in der oberen Hälfte der Haustür allmählich deutlichere
Konturen gewann.
    «Ja? Wer ist da?» Eine scharfe
Stimme, die Bildung verriet.
    «Polizei, Mrs. Kemp. Sie hatten
bei uns angerufen —»
    «Ach so. Sonderlich eilig
hatten Sie es ja nicht. Jetzt müssen Sie sich eben auch ein bißchen gedulden.»
    Schlösser klickten, eine Kette
klirrte, dann endlich stand die Tür offen, und Lewis sah mit nur schlecht
verhehlter Überraschung nach unten.
    «Herrgott, hat man Ihnen denn
nicht gesagt, daß ich behindert bin?» Und ehe Lewis antworten konnte: «Wo ist
die Polizistin?»
    «Äh... Polizistin, Mrs. Kemp?»
    «Von Ihnen lasse ich mich
nämlich nicht ins Bett bringen, damit das ein für allemal klar ist.»
    So ein Geplänkel wäre sonst
ganz nach dem Geschmack des Sergeant gewesen, heute aber lag ihm die Nachricht,
die er zu überbringen hatte, schwer auf der Seele.
    «Wenn ich trotzdem einen
Augenblick hereinkommen dürfte...»
    Marion drehte mit einer raschen
Bewegung ihrer sehnigen Handgelenke den Rollstuhl um hundertachtzig Grad und
fuhr ihn mit raschen, geübten Bewegungen ins Wohnzimmer. «Machen Sie bitte die
Tür hinter sich zu. Wer sind Sie übrigens?»
    Lewis zückte seinen
Dienstausweis, der Marion Kemp aber nicht sonderlich zu interessieren schien.
    «Haben Sie ihn schon gefunden?»
Die Stimme, die Lewis vorhin so beherrscht vorgekommen war, schwankte leicht,
und Mrs. Kemp wischte sich mit einem Taschentuch rasch die dünne Schweißschicht
von der Oberlippe.
    «Es tut mir leid, aber —»
begann Lewis ratlos.
    Zunächst aber fühlte Marion
sich bemüßigt, die Gastgeberin zu spielen. «Bitte setzen sie sich doch,
Sergeant. Die Couch ist angeblich recht bequem, allerdings kann ich das leider
nicht aus eigener Erfahrung sagen. Ich habe nur — oder vor allem — deshalb
angerufen, weil ich, wie Sie sehen, etwas Hilfe brauche.»
    «Es tut mir... sehr leid...»
    «Geschenkt. Mein Mann hat das
Kunststück fertiggebracht, auf der Ringstraße bei Botley frontal mit einem
anderen Wagen zusammenzustoßen.»
    «Ich... äh... will nur...»
Lewis hatte gesehen, daß in der Diele ein Telefon stand, und ging rasch hinaus,
um in der Zentrale eine Kollegin anzufordern. Ihm war etwas mulmig zumute, denn
er wußte aus Erfahrung, daß die Angehörigen von Unfallopfern zu endlosen
Tiraden neigen. Es war, als wollten sie die gefürchtete Nachricht noch
möglichst lange von sich wegschieben.
    «Sie kommt so schnell wie
möglich», sagte er und setzte sich wieder. «Sehr gefährlich, diese Strecke bei
Botley...»
    «Nicht für den Fahrer,
Sergeant, jedenfalls nicht in diesem Fall. Schlüsselbeinbruch und eine
Schnittwunde an der Schulter, die nur ein paar Minuten geblutet hat.» Das klang
so bitter, daß Lewis nichts zu sagen wußte. «Es wäre besser gewesen, wenn er
mich umgebracht hätte, dann wäre jetzt alles ausgestanden. Das denkt er
bestimmt auch. Auf anständige Art und Weise wird er mich jetzt nämlich nicht
mehr los, er muß immer wieder herkommen und sich um mich kümmern, während er
viel lieber irgendwo säße, wo sich jemand anders um ihn kümmert. Sie wissen,
wie ich das meine, Sergeant?»
    Ja, das wußte Lewis natürlich,
aber er sagte erst einmal gar nichts und wartete voller Mitgefühl ab. Doch zunächst
hatte die Frau im Rollstuhl offenbar alles gesagt, was sie zu sagen hatte.
    «Wann ist Ihr Mann heute
vormittag aus dem Haus gegangen?» fragte er dann leise. Sie sah ihn erschrocken
an.
    «Zwanzig nach sieben. Er hatte
ein Taxi bestellt. Sie haben ihm, nachdem er mich umgebracht hatte, für drei
Jahre den Führerschein abgenommen.»
    Lewis schüttelte ratlos den
Kopf. «Aber er hat Sie nicht umgebracht...»
    «O doch. Er hat die Frau in dem
anderen Wagen umgebracht — und mich mit.»
    Es gab eine lange Pause. Dann
holte Lewis sein Notizbuch hervor. «Sie wußten, wohin er wollte?»
    «Zu seinem Verlag. Er hatte
gerade ein Buch abgeschlossen und ist jetzt an der Neuausgabe der Cambridge
History of Early Britain beteiligt.»
    «Und... er ist wirklich
hingefahren?»
    «Lächerlich! Natürlich ist er
hingefahren. Er hat mich von London aus angerufen. Inzwischen war die Post
gekommen, er wollte wissen, ob Druckfahnen dabei waren.»
    «Wann wollte er wieder hier
sein?»
    «Das weiß ich nicht genau. Im Randolph hatte es diesen Zwischenfall gegeben, das wissen Sie sicher alles...»
    Lewis nickte und zitterte vor
dem Moment, da auch sie alles wissen

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