Tod für Don Juan
ist.»
Lewis nickte abermals. «Ganz
meine Meinung, Sir. Mehrere Leute sind bei so was immer besser. In solchen
Situationen — und eigentlich nur dann — hätte ich am liebsten einen anderen Beruf.
Bei Unfällen und so, wenn man es den Angehörigen sagen muß...»
«Schwierig, ich weiß. Das geht
mir auch gegen den Strich.»
«Ein Glück, daß wir heute zu
zweit sind.»
«Wie bitte?»
«Ich sagte, daß wir ja diesmal
zu zweit sind und —»
«Nein, Lewis, das müssen Sie
schon allein erledigen. Zu so unchristlicher Zeit werden wir doch unsere
wertvolle Arbeitskraft nicht verzetteln!»
«Soll das heißen, daß Sie nicht
—»
«Nein. Ich will noch zu...
äh... unserer zweiten Zeugin.»
«Wer soll denn das sein?»
«Mrs. Sheila Williams, Lewis.
Nicht ausgeschlossen, daß sie uns etwas Wichtiges zu sagen hat. Schließlich hat
Mrs. Williams ja das Taxi bestellt...»
«Aber jetzt hegt sie bestimmt
längst im Bett.»
Morse machte ein Pokerface.
Lewis hätte nicht sagen können, ob er an der Aussicht, zu so unchristlicher
Zeit eine erfreulich proportionierte und (vermutlich) nur leicht bekleidete
Dame vernehmen zu müssen, nicht doch ein wenig Gefallen fand.
«Dann werde ich sie wecken,
Lewis. Wir werden in unserem Beruf, wie Sie vorhin sehr richtig bemerkten,
immer wieder vor schwierige und unerfreuliche Situationen gestellt.»
Lewis mußte grinsen. Weshalb
ihm die Arbeit mit diesem schrulligen, oft scheinbar gefühllosen und auf den
ersten Blick völlig humorlosen Mann immer wieder Spaß machte, war ihm ein
Rätsel, ja er wußte nicht einmal genau, ob sie ihm Spaß machte. Aber
seine Frau wußte es. Denn wenn ihr Mann mit Morse zusammenarbeitete, sah sie in
seinen Augen eine seltsame Zufriedenheit, die nicht nur ihm, sondern auch ihr
guttat. Sehr gut sogar. Und deshalb bewunderte sie Morse fast ebensosehr wie
ihr Mann, der ihr immer treu gewesen war und dessen Glück ihr so sehr am Herzen
lag.
«Soll ich Sie hinfahren, Sir?»
«Nein, nein, Lewis, die paar
Schritte tun mir nur gut.»
«Wie Sie wollen.»
«Äh... noch eins, Lewis. Ich
habe den Jaguar vor St. John’s stehenlassen. Wenn Sie... äh...» Er hielt die
Wagenschlüssel zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand von sich weg,
als wolle er seiner Nase den Geruch eines übelriechenden Taschentuchs ersparen.
Dann stieg er aus.
Lewis sah ihm nach und
überlegte wieder einmal, was wohl in diesem Moment im Kopf des Chief Inspector
vorgehen mochte. Deutete er Spuren, die außer ihm niemandem etwas sagten? Sah
er den Hauch eines Motivs, von dem sonst niemand etwas ahnte? Hatte er die
Antwort auf Fragen gefunden, die sonst noch niemand gestellt hatte?
Als Morse das klapprige
Gartentor zu Nummer 97 aufstieß, freute er sich auf eine sicherlich
interessante Begegnung. So wie ein Diabetiker seinen «Ausgleich» braucht — das
heißt eine entsprechende Dosis menschliches Insulin zur Stabilisierung des
Blutzuckerspiegels —, so brauchte Morse hin und wieder als Ausgleich ein paar
sanft-erotische Phantasien, um die Bedürfnisse seiner Libido zu befriedigen,
die er bis vor kurzem noch für ziemlich normal gehalten hatte. Doch dann hatte
er sich Anfang der Woche an der Tankstelle, während er seinen Jaguar mit dem
durch das Donnergrollen am Golf stark verteuerten Sprit versorgt hatte, dabei
ertappt, daß er zu den Softporno-Magazinen hochsah, die auf dem Regal ganz
oben, noch über den Tageszeitungen, standen. Er erspähte die vertrauten Titel — Men Only, Escort, Knave, Video XXXX und und und, die auf ihren
Titelseiten allesamt den moralisch anfälligen Autofahrer mit einer vollbusigen,
kurvenreichen Weibsperson in aufreizender Stellung lockten. Er hatte gerade
eins dieser Machwerke in die Hand genommen, um es flüchtig durchzublättern, als
dieser verflixte Constable Hodges hereingekommen war und sich den Daily
Mirror genommen hatte. Morse hatte sich sofort die Times gegriffen
und dieses ehrenwerte Blatt hochgehalten wie ein Kreuzfahrer seinen
wappengeschmückten Schild, während er sich hinter Hogdes an die Kasse stellte.
«Schöner Tag heute, Sir.»
«Sehr schön.»
Morse hatte den Eindruck, daß
Hogdes’ stumpfer Blick gar nicht erfaßt hatte, welcher Versuchung sein
Vorgesetzter soeben erlegen war. Doch selbst Morse — gerade Morse! — konnte in
seinem Urteil manchmal auch schwer danebengreifen.
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Allein
der Bringer unwillkommner Zeitung hat ein nachteilig Amt. ( Shakespeare ,
König Heinrich IV, Zweiter
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