Tod für Don Juan
würde.
«Sie hatten das Programm
umgestellt, die Einzelheiten habe ich vergessen, aber um halb elf wollte er
wieder zu Hause sein, später kommt er nie...»
Die schlanke, dunkelhaarige,
ziemlich unscheinbare Frau im Rollstuhl ließ jetzt Anzeichen von Panik
erkennen. Sprich weiter, Lewis, schreib etwas in dein Notizbuch, tu was!
Irgendwas...
«Und Sie wissen nicht, wo er
vielleicht nach seiner Rückkehr aus London noch Station gemacht haben könnte?»
«Nein, Sergeant, ich habe keine
Ahnung. Für einen Besuch bei seiner geliebten Sheila Williams, dieser
sexhungrigen, jämmerlichen, alkoholisierten Schlampe, wäre die Zeit zu knapp
geworden...»
Weiter, Lewis!
«Daß der Wolvercote-Dorn
abhanden gekommen ist, muß ihn sehr getroffen haben.»
«Er konnte es kaum noch
erwarten, das gute Stück zu sehen.»
«Warum ist er nicht schon
längst nach Amerika geflogen, um es zu besichtigen?»
«Ich habe ihn nicht
weggelassen.»
Lewis sah auf den kahlen
Dielenboden herunter und steckte sein Notizbuch ein.
«Nach all dem, was er mir
angetan hat, hatte ich nämlich keine Lust, mich hier wochenlang
mutterseelenallein herumzuquälen.»
«Mrs. Kemp, ich muß Ihnen
leider — »
Doch Marion sah mit starrem
Blick in eine schwarz gähnende Tiefe. Ihre eben noch so rachsüchtige Stimme
klang plötzlich zittrig und kummervoll — fast, als wüßte sie es schon. «Es war
wohl nicht sehr nett von mir...»
Zum Glück läutete es jetzt an
der Haustür, und Lewis stand auf. «Das wird meine Kollegin sein, Mrs. Kemp. Ich
werde... wenn es Ihnen recht ist... ich mache mal auf und... Wir müssen Ihnen
nämlich etwas sagen, ich hole sie eben herein.»
«Er ist tot, Sergeant. Er ist
tot, nicht wahr?»
«Ja, Mrs. Kemp. Er ist tot.»
Sie gab keinen Laut von sich,
aber die Spitzen der verspannten, blutlosen Finger gruben sich in ihre
Schläfen, als wollten sie die Nervenstränge durchtrennen, die die Nachricht von
den Ohren ans Gehirn übermittelten.
24
Es
gibt verschiedene wirksame Möglichkeiten, sich gegen Versuchungen zu schützen,
die wirksamste aber ist die Feigheit. (Mark Twain, Following the
Equator)
«Nehmen Sie doch Platz,
Inspector. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?»
Vor Sheila Williams, die
ziemlich nüchtern und hundertprozentig züchtig gekleidet war, stand eine Tasse
schwarzer Kaffee.
«Was denn? Kaffee?»
Sheila zuckte die Schultern.
«Was Sie wollen. Von mir können Sie — in dieser Richtung jedenfalls — so gut
wie alles haben.»
«Ich trinke sowieso zuviel.»
«Ich auch.»
«Es ist schon spät, aber...»
«Ich gehe nie vor eins schlafen
— jedenfalls nicht, wenn ich allein bin.» Sie lachte bitter.
«Sie haben einen langen Tag
hinter sich.»
«Einen langen, versoffenen Tag,
ja.» Sie nahm ein paar Schlucke heißen Kaffee. «In einer Kipling-Geschichte
kommt ein Typ vor, der sagt, daß seine Seele verfault ist, weil er sich nicht
mehr betrinken kann. Schon mal davon gehört?»
Morse nickte. « Love o’ Women .»
«Genau. Eine der berühmtesten
Geschichten des 20. Jahrhunderts.»
«Genaugenommen des
neunzehnten.»
«O Himmel! Ein literarisch
gebildeter Bulle...» Sie sah mit unglücklichem Gesicht auf die Tischplatte
herunter, und als sie den Blick wieder hob, fuhr Morse fort:
«Mulvaney sagt es in dieser
Geschichte so: Menschen verfault.> Der Satz begleitet mich seit vielen Jahren.»
«Herrgott», flüsterte Sheila.
Es war ein hübsches Zimmer, in
dem sie saßen, mit schönen alten Möbeln und einigen interessanten und
ungewöhnlichen Reproduktionen holländischer Meister aus dem 17. Jahrhundert.
Überall Anzeichen von gutem Geschmack, dachte Morse. Und von Weiblichkeit:
Neben Sheila Williams auf dem Sofa saß ein schleifchengeschmückter Teddybär. In
diesem Zimmer teilte Morse ihr ruhig und in ganz schlichten Worten mit, daß
Theodore Kemp tot war. Wenn sie es schon erfahren mußte, dachte er sich wohl,
bot sich diese Gelegenheit geradezu an.
Eine Weile blieb Sheila
regungslos sitzen, dann wurden ihre großen braunen Augen naß wie der Gehsteig
nach einem jähen Regenschauer.
«Aber wie... warum...?»
«Das wissen wir nicht. Wir
dachten, daß Sie uns vielleicht helfen könnten. Deshalb bin ich hier.»
Sheila sah ihn groß an. «Ich?»
«Sie sollen eine... eine
Meinungsverschiedenheit mit ihm gehabt haben.»
«Wer hat Ihnen das erzählt?»
fragte sie scharf.
«Jemand aus der Reisegruppe.»
«Diese
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