Tod für Don Juan
kundigem
Blick den ausgewachsenen Kater angesehen und ließ dem Leidenden praktische
Hilfe in Form von zwei Alka Seltzer angedeihen, die er offenbar stets bei sich
hatte.
Und dann legte Stratton los.
Daß er sich an dem Tag, nachdem
«es» passiert war, einfach abgesetzt hatte, mochte sich ausnehmen wie
Gefühllosigkeit, aber da war diese Anzeige in der Oxford Mail gewesen:
Tag der offenen Tür in Didcot! Eine unwiderstehliche Versuchung... Er hatte im
Depot die alten Lokomotiven besichtigt und den anderen Besuchern zugesehen, die
sich — vom Schuljungen bis zum ernsthaften, erwachsenen Mann — sorgfältig
Nummern und Radstände notierten. («...äußerlich völlig normale Menschen,
Inspector...») Und dann hatte er sich den Traum seines Lebens erfüllen können —
mit eigenen Augen den legendären Flying Scotsman zu sehen. Er war länger
als beabsichtigt in Didcot geblieben, endlich hatte er sich schweren Herzens
vom Cornish Riviera und Torbay Express getrennt, war gegen fünf
zur Didcot Parkway Station gegangen und mit dem nächsten Zug nach Oxford zurückgefahren.
Im Bahnhofsrestaurant hatte er sich kurz... äh... erfrischt, und auf dem Weg
zum Randolph war ihm der Gedanke an seine so überaus mitfühlenden
Landsleute plötzlich so unerträglich geworden, daß er in einem Pub eingekehrt
war und ein, zwei Halbe Lager getrunken hatte.
«Da waren die Pubs schon auf,
Mr. Stratton?» vergewisserte sich Lewis.
Doch die Antwort kam von Morse.
«Wenn Sie wollen, Lewis, kann ich Ihnen Namen und Adressen von mindestens drei Kneipen
nennen, die den ganzen Tag aufhaben. Bitte weiter, Mr. Stratton.»
Gegen halb acht war er dann in
ein Restaurant in der St. Giles’ gegangen, zu Browns, hatte ein schönes
Steak gegessen und eine Flasche Rotwein dazu getrunken, und war langsam in Richtung Randolph gegangen. Vor dem Taylorean hatte er Mrs. Sheila Williams
getroffen, die auf dem Weg zum Taxistand war. Sie hatten sich — beide wohl
schon leicht angeheitert — eine ganze Weile auf der Straße unterhalten, und
dann hatte sie ihn auf einen Schlaftrunk zu sich nach Hause eingeladen.
Ja, und das war’s auch schon.
Der kräftige Amerikaner mit dem
zerklüfteten Gesicht hatte seine Geschichte schlicht und eindringlich
vorgetragen, und Morse dachte, daß sich mit so einem Mann sicher gut ein Bier
trinken ließ. Trotzdem war es nie verkehrt, ein paar scheinbar belanglose
Fragen zu stellen.
«Sie sagen, daß Sie auf dem
Bahnhof etwas getrunken haben?»
«Ja.»
«Auf welchem Bahnsteig?»
«Keinen Schimmer. Auf der
Seite, wo der Zug eingefahren ist.»
«Und da gibt es alkoholische
Getränke?»
«Aber ja. Ich hab eine,
vielleicht auch zwei Dosen Bier getrunken. Sündteuer!»
Lewis runzelte die Stirn und
sah seinen Chef an. «Das kann nicht stimmen, Sir. Auf dem Bahnhof kann Mr.
Stratton kein Bier bekommen haben, jedenfalls nicht gestern. Sie hatten ein
großes Schild draußen hängen: Von wegen der
Renovierung.»
«Wegen, Lewis.»
«Pardon, Sir. Ist mir nur so
rausgerutscht.»
«Sagen Sie einfach
renovierungshalber, das ist zwar nicht schön, aber wenigstens halbwegs
richtig.»
«Das Bahnhofsbüffet jedenfalls
war geschlossen, Sir.»
«Interessant.» Morse wandte
sich unvermittelt wieder den ziemlich betreten dreinschauenden Stratton zu.
«Darf man fragen, Sir, wo Sie sich aufgehalten haben, wenn Sie zwischen halb
sechs und halb sieben nicht auf dem Bahnhof waren?»
Stratton seufzte tief und
brauchte offenbar eine Weile, um zu einer Entscheidung zu kommen. Dann stieß er
erneut einen tiefen Seufzer aus und machte eine resignierte Handbewegung. «Ihr
Sergeant hat recht, Inspector. Ich habe gefragt, ob ich was zu trinken haben
könnte, irgendwas. Aber sie waren dort tatsächlich überall am Umbauen.
Trotzdem... ich war mindestens eine halbe Stunde auf dem Bahnhof. Ich habe mich
mit der Herald Tribüne auf eine der roten Bänke gesetzt und gelesen.»
«Bißchen kühl, was?»
Stratton schwieg.
«Wollten Sie vermeiden, vor dem
Bahnhof irgendwem in die Arme zu laufen?» erkundigte sich Morse.
«Ich... ich wollte erst mal
noch auf dem Bahnhof bleiben, weil... Es könnte etwas peinlich werden, habe ich
mir gedacht, wenn draußen jemand... jemand zufällig auf einen Bus oder ein Taxi
wartet.»
«Im Klartext: Sie haben im Zug
jemanden aus Ihrer Reisegruppe gesehen? Als Sie in Didcot zustiegen?»
Stratton nickte. «In Didcot war
er nicht eingestiegen, er muß schon aus Reading gekommen
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