Tod im Albtal
noch andere Leute fragen, was sie von ihr halten.«
»So viel Zeit bleibt mir nicht mehr. Ach, Elena, wäre ich doch niemals mit Friederike einkaufen gegangen.«
»Das kann ich mir vorstellen. Ich persönlich glaube inzwischen sowieso an ein Zufallsverbrechen. Die sind am schwersten aufzuklären, und deshalb haben sie ihn auch noch nicht. Es gibt Verrückte, die in Umkleidekabinen sitzen und Frauen beobachten. Ich habe von einer Boutique in Baden-Baden gehört, wo einer wochenlang auf diese Tour glücklich geworden ist. Er hat immer so getan, als hätte er eine kranke Frau zu Hause und müsste Kleider für sie aussuchen. Der Typ hatte sogar eine Digitalkamera dabei. Excuse-moi , aber ich muss jetzt gehen.«
»Elena?«
»Ja!«
»Danke!«
»Bitte.«
Jetzt kam sie noch einmal einen Schritt auf mich zu. »Aber ich meine es ernst. Swentja. Verstrick dich da nicht zu tief hinein. Ich sage jetzt etwas, was ich später vielleicht bereue: Wenn du mit diesem feschen Polizisten ins Bett willst, dann mach es doch einfach. Dazu brauchst du doch keine Mördersuche, hm?«
Der Tratsch war also zu ihr gedrungen, und sie hatte mich durchschaut.
Hilflos sah ich ihr nach. »Verdammt!«, murmelte ich. »Verdammt!«
* * *
Um sechs Uhr abends fuhr ich nach Frauenalb. Bog von der Straße ab, überquerte die kleine Brücke mit der Nepomukstatue, parkte vor dem Restaurant und stieg aus. Die Luft war frisch, die Sonne hatte nicht mehr viel Kraft.
Für mich war diese Ruine ein geradezu mystischer Ort. Ihre Fragmente, die kahlen hohen Mauern mit den toten, leeren Fensterhöhlen, hätten auch in Irland oder Schottland stehen können.
Ein Teil der Ruine war mit Steinboden gepflastert, im unteren Teil der Anlage aber wuchsen Gras und flaches Gebüsch zwischen den hager emporschießenden Mauern. Der Wald rückte nahe heran an die einstige große Klosteranlage, wodurch sie etwas Finsteres bekam.
Sagen rankten sich um den Ort. Immer wieder war die Rede von einem unterirdischen Gang zum Männerkloster nach Bad Herrenalb und von ungezählten toten Babys, die in diesem Gang verscharrt worden seien. Unheimlich war auch die Geschichte, dass große Teile des im frühen 12. Jahrhundert gegründeten Klosters 1508 durch die Unvorsichtigkeit einer Laienschwester abgebrannt waren. Wie mochte diese junge Frau sich gefühlt haben, wie grausam hatte man sie wohl bestraft?
Die Sonne kroch jetzt hinter die Berge und tauchte das kleine Ensemble aus Restaurant, Kloster und den Nebengebäuden in ein letztes tröstliches Licht. Es wurde schon kühl. Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund. Später sollte ich mich an jeden einzelnen Laut erinnern.
Das Restaurant »König von Preußen« war wie immer gut besucht. Autos parkten halsbrecherisch am Berg. Von drinnen hörte man das Klappern von Besteck, Gläserklirren und Lachen. Zwei junge Männer standen vor dem Haus und rauchten. Es herrschte fast Ferienatmosphäre.
Wenige Schritte weiter, in der Nähe der Ruine, war es still. Wenn sich die Gäste im Restaurant die Überbleibsel des Klosters angesehen hatten – und das taten die meisten –, dann hatten sie es vor dem Essen getan. Jetzt waren die mächtigen Mauern sich selbst überlassen.
Ich hatte keine Ahnung, welches Auto die kleine Frau Stolze besaß, hoffte jedoch, dass sie schon da war und die Sache bald erledigt wäre. Heute Abend wollte ich endlich mal wieder über Skype mit meinem Töchterchen plaudern.
Ich betrat die verfallene Halle der Ruine. Vom Wald her duftete es schon herbstlich. Hinter den letzten Strahlen der Herbstsonne lauerte die Kühle der kommenden Monate. Ich zog meine Kaschmirstrickjacke enger um mich.
»Frau Stolze?«, rief ich in den einstigen Klosterhof hinein. Die Worte hallten. Im Hochsommer gab es hier häufig Konzerte. Akustik und Szenerie waren grandios.
Keine Antwort. Ich drehte mich um und ging zum Lokal zurück.
»Die Friseurinnung, bitte?«
»Hinten an dem runden Tisch!«
Die Bedienung hastete mit einem Tablett voller kugelbäuchiger Rotweingläser an mir vorüber und deutete nur mit dem Kopf in die entsprechende Richtung.
Doch eigentlich war der Hinweis unnötig, denn die Damen der Friseurinnung hätte man auch so erkannt. Sie waren nämlich alle auf eine Weise frisiert, für die ich Raoul in Achern vor Gericht zerren würde. Zu gekonnt, zu gestylt, zu blond und zu gesträhnt.
Ich liebte es, wenn meine Haare so natürlich aussahen, als wäre ich irgendwann vor zwei Jahren das letzte Mal beim Friseur
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