Tod im Albtal
Eigenheiten. Friederike war eigentlich sehr schüchtern und ängstlich. Wenn ich nicht die Initiative ergriffen hätte, wäre bestimmt niemals etwas zwischen uns passiert. Aber dann war es sowieso aus.«
»Bleiben Sie am besten bei Ihrer Schwester«, schlug ich ironisch vor.
Er nahm meinen Hinweis ganz ernst. »Ja, vielleicht sollte ich das wirklich tun. Zumindest kenne ich ihre Macken von Kindheit an. Petra war sowieso der Meinung, dass Friederike und ich nicht zueinanderpassten. Und sie hat meistens recht.«
Ein Kerl wie ein Bär, aber der Waldschrat und Hundeflüsterer war im Grunde ein Waschlappen, dachte ich. Eine optische Täuschung. Wenigstens war sich Nicolaus treu geblieben. Als ich ihn geheiratet hatte, wusste ich, auf was ich mich einließ. Mit Hagen würde es auch nicht anders sein. Mit jedem Kuss würde sich der schneidige Prinz zurückverwandeln in den Frosch, der er wahrscheinlich war. Und trotzdem hatte ich Lust, es auszuprobieren.
Ich wandte mich wieder Bleibtrau zu. »Friederike hatte in letzter Zeit wohl gewisse neue Informationen, ihren Vater betreffend. Genauer gesagt, sie hegte lebenslang die Vermutung, der Mann, der mit ihrer Mutter verheiratet war, wäre nicht ihr Erzeuger. Hat sie jemals mit Ihnen über die Suche nach ihrem wirklichen Vater gesprochen?«
»Nein, davon wusste ich nichts. Bisschen spät im Leben, oder? Ich spürte nur, dass sie ihren Papa wohl nicht besonders mochte. Er war ja schon länger tot. Auf der Schwarzwaldhochstraße ist er mit dem Motorrad von der Straße abgekommen, gegen einen Baum geprallt, und das war’s. Ich habe mit solchen Leuten wenig Mitleid, aber vielleicht ist das nicht besonders christlich. Sie hat aber eigentlich nie ausführlicher von ihm erzählt.«
Ich schwieg. Die jungen Männer hatten ihr Bier hinuntergestürzt und schlenderten zu ihren Fahrrädern zurück. Ich beobachtete mit Entsetzen, wie sich jetzt eine dicke Frau in einem großgeblümten Billigshirt neben uns am Tisch niederließ und zwei Currywürste vor sich aufbaute. Dass man so leben konnte!
»Kurz bevor wir uns getrennt haben, hat sie ihn einmal erwähnt. Sie hat gesagt: ›Es ist gut, dass wir Schluss machen. So eine Affäre ist nicht richtig, auch wenn du selbst nicht verheiratet bist. Es bringt Unglück. Meine Eltern waren in diesem Punkt nicht gerade ein Vorbild für mich.‹ Ich habe gesagt: ›Wieso? Ich dachte, du hängst an deiner Mutter.‹ Sie hat genickt. ›Das tue ich auch. Ich liebe und bewundere sie‹, war ihre Antwort gewesen. ›Aber was fand sie ausgerechnet an diesem Mann?‹«
»Hm«, sagte ich nachdenklich. »Liebe für Marianne Grüber? Verständlich. Aber Bewunderung?«
»Ja. Doch diese Gefühle waren tief und echt, das habe ich gemerkt, auch wenn die Frau rückwirkend gesehen ja irgendwie schuld war an Friederikes Gefühlswirrwarr kurz vor ihrem Tod. Oder nicht? Wie sie von ihrem Vater sprach, fand ich jedenfalls nicht besonders schön. Er hatte ihr ja nichts getan, oder?«
Oder?, dachte ich. Genau dieses Oder ist die Frage. Eine der vielen Fragen. Robert schien die Currywurstverspeiserin nicht zu sehen und hing seinen Gedanken nach.
»Was fand sie ausgerechnet an diesem Mann?«, wiederholte ich. »Damit hat sie zu diesem Zeitpunkt wohl schon ihren richtigen Vater gemeint! Was heißt das? War er unsympathisch? Nichts Besonderes? Alt?«
Während der Rückfahrt saß Friederike in Gedanken neben mir. Wie eigentlich immer. Sie und das Rätsel, das sie umgab, beherrschten inzwischen mein ganzes Denken. Das musste bald aufhören, sonst wurde ich wirklich ein Fall für die Seelenbetreuerin bei der Karlsruher Kripo. Ich sah es schon vor mir, wie sie in einem naturbelassenen Walkdings von Waschbär vor mir saß, ihre schlecht, weil mit Henna selbst gefärbten Haare raufte und fragte: »Wann hat das angefangen mit diesem Wahn, Frau Schmieds Mörder finden zu müssen? Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrem Mann geschlafen? Haben Sie erotische Phantasien, andere Männer betreffend?«
Ich rief mir die Friederike, die ich gekannt hatte, ins Gedächtnis. Die Frau, die nicht wusste, wie man sich anzieht oder sich schminkt. Sie war doch eigentlich eine ziemlich langweilige Person gewesen. Viel zu beflissen und zu bemüht, um eine Herausforderung darzustellen.
Nun hatte sie offenbar endlich ihren richtigen Vater gefunden, und dann entsprach er anscheinend nicht ihren Wünschen. Oder er hatte nicht reagiert, wie sie es sich vorgestellt hatte. Und dann war diese
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