Tod im Albtal
huldigte er diesem Stil tagaus, tagein. Wie würde er wohl in die Oper gehen? Oder zu einem Empfang? Wahrscheinlich gar nicht. Er war der Typ, der einsam durch die Wälder streifte oder Motorrad fuhr oder auf dem Polizeischießstand im Karlsruher Stadtteil Durlach verbissen übte, bis er der Beste war.
Friederike hat vielleicht verborgene Talente besessen, aber eines hatte sie mit absoluter Sicherheit nicht: das Talent, etwas aus sich zu machen. Alles an ihr wirkte falsch und passte nicht. Der Kopf und die Frisur nicht zum Körper. Die kleinen Füße nicht zu den kraftvollen Schenkeln. Der kleine Busen nicht zu ihrem eher ausladenden Hinterteil. Sie war wie ein Puzzle, bei dem jemand die Teile falsch nummeriert hatte.
Doch auch so etwas musste noch nicht tragisch sein. Wenn eine Frau einen ehrlichen Spiegel hatte, zwei klare Augen und einen Hauch Kleiderverstand, konnte sie daraus das Beste machen. Doch Friederike hatte zwar sowohl Spiegel als auch zwei Augen, aber leider null Kleiderverstand gehabt.
Sie hatte immer katastrophal ausgesehen. Jeans, die nicht saßen. Farben, die nicht passten. Materialien, die sie dick erscheinen ließen. Ich sage nur: Zopfpullover. Die können nur ganz zierliche Frauen tragen, alle anderen sehen darin aus wie Kampfmaschinen. Sie wählte zu kurze Röcke oder solche, die zu lang waren. Kaufte T-Shirts, die genau da endeten, wo ihre Problemzone begann, und trug Gürtel, die ihre Fettpölsterchen noch modellierten.
Hässlich war sie eigentlich nicht gewesen, denn mit ihren hellbraunen Augen und dem goldbraunen, leicht gelockten Haar war sie durchaus als annehmbarer Herbsttyp durchgegangen. Herbsttypen ließen sich gut anziehen, denn der Farbtrend der Haute Couture ging mit den Naturtönen seit Jahren in ihre Richtung. Sie hätte ganz gut Ocker und Braun, Beige, Taupe, Mauve und sogar Orange tragen können, und in Petrol und Moosgrün hätte sie geradezu rasant ausgesehen – aber niemals, niemals Lila, bitte sehr! Nur bei Todesstrafe Rot und ganz wenig Schwarz. In Schwarz sah sie aus wie meine italienische Großmutter, da wirkten ihre Falten so tief wie Gletscherspalten. Sie hätte Gold und kein Silber tragen sollen. Und sich ja keinen Rotton ins Haar färben lassen! Ihr Friseur gehörte wegen Körperverletzung angeklagt, und in dieselbe Zelle sollte man die Kosmetikerin sperren, die ihr ein Make-up empfohlen hatte, mit dem man Clowns schminkte, aber nicht Frauen wie Friederike. Sie hatte einen leicht gebräunten Haut-Grundton, da konnte man doch etwas draus machen!
Hinzu kam die verhängnisvolle Neigung, alles zwei Nummern zu klein und auf Figur genäht zu kaufen. Doch sie wog nun mal etwas zu viel, deshalb hätten ihr lässig geschnittene Sachen in einer gemäßigten A-Linie gut gestanden. Und genau dazu hätte ich ihr heute verholfen. Nun würde sie wohl ein Leichenhemd tragen. Weiß! Nicht die optimale Farbe für sie, ging aber gerade noch. In Weiß wirken solche Frauen wie Friederike mädchenhaft.
Hagen hatte mich misstrauisch beobachtet. Ich wandte mich ihm wieder zu.
»Sie wollte bei mir schlicht und einfach lernen, wie man sich besser kleidet. Ihr Mann strebt nämlich einen Karrieresprung an, genauer gesagt, er bewirbt sich bei den nächsten Wahlen um den regionalen Spitzenplatz seiner Partei für den Bundestag. Nicht unangefochten, wie ich gehört habe, denn er gilt als ziemlicher Hardliner. Auf seinem Programm stehen so vernünftige Sachen wie die Senkung der Spitzensteuersätze und der Erbschaftsteuer, und er war natürlich gegen höhere Unternehmenssteuern. Mein Mann könnte Ihnen das genauer erklären. Jedenfalls ist er nicht unumstritten. Anlässlich von Stuttgart 21 hat er sich als Gegner der Gegner hervorgetan. Heutzutage macht man sich da sogar in unseren Kreisen keine Freunde.«
»Ich verstehe«, murmelte Hagen. »Und ich frage mich, wie oft Sie ihn noch benutzen werden.«
»Was?«
»Ihren Lieblingsausdruck: in unseren Kreisen. Kreise können auch Schnittmengen bilden.«
»Mengenlehre ist out, Herr Hayden!«
Er grinste beinahe anerkennend. Das gefiel mir. Dieser Hagen war offenbar ein guter Sparringspartner. Mein eigener Mann hatte sich aus dieser Rolle ein paar Tage nach unserer Hochzeit für immer verabschiedet.
Ich fuhr fort: »In letzter Zeit waren die Schmieds ab und zu in Stuttgart und einmal sogar in Berlin eingeladen. Und für solche Events brauchte Friederike eine kompetente Beratung. Welche Designer für sie in Frage kommen, wo man sie findet
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