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Tod im Apotherkerhaus

Tod im Apotherkerhaus

Titel: Tod im Apotherkerhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Jagdglück versuchen.
    Doch viele Tage und Nächte vergingen, und der Sturm blies weiter mit ungebrochener Kraft. Der junge Jäger war jetzt sehr abgemagert. Er spürte, dass er essen musste, sonst würde der ewige Schlaf kommen. Da tötete er einen seiner Hunde. Er aß lange von dem Fleisch, und als nur noch Sehnen und Knorpel übrig waren, gab er sie den anderen Hunden. Der Sturm hielt an. Der Jäger wusste bald kaum mehr, ob Tag oder Nacht war. Aber er wollte nicht aufgeben. Wieder schlachtete er einen seiner Hunde und aß ihn. Dann legte er sich hin und machte sich Mut. Der Sturm kann nicht für immer bleiben, sagte er sich, irgendwann hat auch er seine Kraft ausgehaucht. Ich schlafe jetzt, und wenn ich aufwache, wird alles gut. Doch der Sturm blieb. Am folgenden Tag und dem Tag darauf und auch an dem Tag, der danach kam. Jeden Abend legte der junge Jäger sich zur Ruhe und hoffte auf den nächsten Morgen. Der Sturm blieb. An dem Morgen, als der Tran in der Lampe zur Neige ging, tötete der Jäger den dritten Hund. Er hatte jetzt kein Licht mehr, und mit dem Licht war auch seine einzige Wärmequelle versiegt. Er fror stark.
    Später wusste er nicht mehr zu sagen, wann er die anderen Hunde getötet hatte, aber er hatte es getan und sie einen nach dem anderen gegessen. Er schätzte, dass er jetzt schon drei Monde in seinem Schneehaus gefangen war, allein in der Dunkelheit, hungernd und frierend.
    Der Sturm wich nicht. Es war, als wäre er schon immer da gewesen und würde immer bleiben. Die Kälte war womöglich noch schlimmer. Erst hatte sie ihn am ganzen Körper gelähmt, jetzt begann sie, ihn langsam zu vereisen. Sie setzte an den Fußsohlen an und arbeitete sich hoch über die Zehen und Fersen bis hin zu den Fesseln. Der junge Jäger merkte es genau, aber er hatte kein Mittel, es zu verhindern, denn seine Nahrungsvorräte waren erschöpft. Es gab kein Fleisch mehr, das ihm Lebenskraft und innere Wärme spenden konnte. Der Sturm blieb. Die Kälte blieb. Er musste essen oder sterben. Da nahm er sein schärfstes Messer und trennte seinen linken Fuß ab. Es war sehr mühsam und dauerte lange, aber es schmerzte nicht, denn der Fuß war wie tot. Er nahm ihn und schob ihn sich unter die Achsel, bis er aufgetaut war. Dann aß er ihn. Er aß ihn wie ein fremdes Stück Fleisch, obwohl es sein eigener Fuß war.
    Drei Tage später aß er den anderen Fuß. Dann ließ der Sturm nach.
    Seine Familie fand ihn an einem sonnigen Morgen, ohne Füße, aber lebend.<
    Tja«, fuhr Düke fort, »natürlich glaubte der Spanier dem Eskimo kein Wort, zu unwahrscheinlich klang es in seinen Ohren, dass jemand einen Schneesturm überlebt hatte, indem er seine eigenen Füße aufaß. Aber genau damit hatte der Alte gerechnet. Er tat nichts weiter, als das Eisbärfell hochzuziehen, und der Spanier sah, dass er nur noch Beinstümpfe hatte. >Glaubst du mir jetzt, dass die Inuit die tapfersten und ausdauerndsten Menschen sind?<, fragte er.
    >Ja<, antwortete der Spanier, >jetzt glaube ich es.< Er nahm den Toback und gab ihn dem Alten. >Ich entschuldige mich bei dir, meine Worte tun mir Leid.<
    Der Eskimo lächelte und sagte: >Das ist nicht nötig, hier, für dich.< Er nahm seinen Lippenpflock heraus und gab ihn dem Spanier. >Damit du siehst, dass ich dir nichts nachtrage.<« Düke machte eine Pause. Dann sagte er: »Damit endet die Geschichte, Herr Apotheker.«
    »Eine Geschichte, die eher einer Fabel gleicht«, erwiderte Rapp, der sehr nachdenklich geworden war. »Vielleicht sind die Eskimos nicht nur die tapfersten und ausdauerndsten, sondern auch die freundlichsten Menschen auf dieser Welt. Nun ja, fest steht, dass der Pflock durch die Erzählung für mich einen besonderen Wert gewonnen hat. Egal, ob sie Seemannsgarn ist oder nicht.« Er steckte den Lippenpflock in eine kleine Schatulle und verstaute sie in seinem Korb.
    »Pitt glaubt sie nicht«, sagte Düke.
    »Das kann ich mir vorstellen. Anderenfalls hätte er sich wohl nicht so leicht von dem Stück getrennt«, erwiderte Rapp. »Ich hoffe nur, dass Doktor de Castro ihm helfen kann. Doch nun zu dir, mein Freund.« Er wandte sich dem Matrosen zu, dessen Unterarme noch immer in der Molke steckten. »Für heute soll es genügen. Hebe die Flüssigkeit nur ja gut auf und wiederhole die Anwendung je einmal in den nächsten sieben Tagen, und zwar immer genauso lange wie heute. Danach hat die Molke ihre Kraft verbraucht und hoffentlich das Ekzem besiegt. Hast du mich verstanden?« Der Mann nickte.

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