Tod im Apotherkerhaus
dass er bei seiner Aufzählung, was alles hübsch an Mine war, ihre Zähne vergessen hatte. Sie waren wie eine Reihe Perlen. Da er sonst nichts zu sagen wusste, hielt er ihr die Faust hin und öffnete sie langsam. »Hier.« Mines Lächeln erstarb. Ungläubig schaute sie auf das kostbare Schmuckstück. Dann flüsterte sie: »Für mich?« Sie sah dabei so fassungslos aus, dass Rapp lachen musste. »Ja, natürlich. Es ist eine Gewandspange, eine Fibel, wie man sagt. Ich habe sie schon lange. Jetzt ist sie dein.« »Oh, Teo. Die ist ja aus Silber. Das ist zu viel.« »Nein, nein. Nimm sie nur. Ich habe mich schon so lange gefragt, womit ich dir eine Freude machen könnte, und neulich , fiel es mir endlich ein. Weißt du noch, wie wir die Flickhemden zum Burstah gebracht haben? Es war ein windiger Tag, und der Knoten deines Schultertuchs löste sich ständig, da wusste ich, die Fibel wäre genau das richtige Geschenk.« »Oh, Teo, wo hast du die denn bloß her?« Mine schlug die Decke zurück und nahm das Kleinod in die Hand. »Ach, das ist eine eigene Geschichte.«
»Komm setz dich zu mir und erzähl sie mir. Ich muss alles über die Spange wissen.«
Rapp ließ sich vorsichtig auf den Matratzenrand nieder, wobei er die Kerze hochhielt, damit Mine die Fibel von allen Seiten betrachten konnte. »Ist die schön! Mann in de Tünn ...!« »Ich freu mich, wenn du dich freust.«
»Und nun erzähl.«
»Ach, viel gibt es da nicht zu berichten. Es war im Sommer meines letzten Lehrjahres, da kam eines Tages der alte Görbitz in die Apotheke meines Vaters. Er war ein Wasserbrenner, einer der ...«
»Was ist ein Wasserbrenner?« Mine untersuchte das Hülsenscharnier der Spange.
»Das ist ein Olitätenhändler. So nennt man die Krämer aus Thüringen, die auf Schusters Rappen durch ganz Deutschland ziehen und dabei ihre Ware auf dem Rücken tragen. Unter Olitäten versteht man Heilmittel wie Öle, Spiritusse, Tinkturen und Balsame.«
»Die Fibel ist bestimmt ganz aus Silber, nicht?« »Das ist sie. Görbitz kam also in die Apotheke und fragte, ob wir etwas brauchten. Das war ungewöhnlich, denn der Wasserbrenner ist ein Konkurrent des Apothekers. Ebenso wie es die vielen Gewürzhändler und Theriakmischer sind. Mein Vater runzelte die Stirn und meinte, er benötige nichts, alles, was Görbitz anzubieten habe, hätte er selber. Dann ging er nach oben auf den Trockenboden. Görbitz jedoch blieb stehen und sagte, es sei schlecht um ihn bestellt, ganz schlecht, niemand kaufe ihm etwas ab. Er sah so verzweifelt aus, dass ich mich erweichen ließ und etwas Ameisenöl und Balsamus sulfuricus von ihm erwarb. Als Lehrling hätte ich das eigentlich nicht dürfen, aber ich tat es trotzdem. Görbitz war so dankbar, dass er mir beim Hinausgehen die Spange schenkte.« »Sie ist wirklich wunderschön.«
»Ja. Görbitz sagte, sie stamme aus der Nähe von Mogontiacum, wie Mainz früher hieß, und dort aus dem Grab eines römischen Soldatenfriedhofs. Sie ist also schon um die vierzehnhundert Jahre alt.«
»So alt schon? Und von einem Soldatenfriedhof? Oh, Teo, Friedhöfe haben immer so was Düsteres. Aber ich freu mich trotzdem, ich freu mich mächtig!«
»Nun kennst du die ganze Geschichte.«
»Du bist ... so lieb. Und ich hör so gern deine Stimme.« Mine ergriff Rapps Hand und begann sie zu streicheln.
»Ah-hm ...«
»Ob wir die Spange mal anstecken? Da an mein Hemd?« Sie wies auf die Stelle zwischen ihren Brüsten. »Komm, hilf mir
mal. Ja, sooo ... Wie sehe ich aus?«
»Du bist ... du bist ... wunderschön«, stammelte er. Er wollte seine Hand fortziehen, doch sie hielt sie fest.
»Sag das noch mal.«
»... so wunderschön!«
»Oh, Teo, mach doch die dumme Kerze aus.«
Kapitel elf,
in welchem eine Zeit des Glücks und der Gelehrsamkeit folgt, auch wenn am Horizont schon dunkle Wolken aufziehen.
I n den nächsten Tagen fühlte Rapp sich großartig. Das Leben, die Menschen, ja, sogar das Hamburger Wetter - all das kam ihm viel freundlicher vor, und auch die Arbeit schien sich wie von selbst zu machen. Der Grund dafür: Er war verliebt.
Seit der Nacht, in der Mine und er zueinander gefunden hatten, waren sie unzertrennlich. Jeden Tag freute er sich auf den frühen Abend, denn dann erschien sie im Apothekenhaus, brachte ein paar leckere Bissen mit und lauschte anschließend seinen Erklärungen zu dem Thesaurus. Sie tat dies gern und mit wachsendem Interesse, und niemand auf der Welt hätte glücklicher darüber
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