Tod im Beginenhaus
Wahrheit sagen. Das ist nur recht und billig.» Sie hielt kurz inne und sah sich wieder um, dann fuhr sie fort: «Es muss etwa fünfzehn oder sechzehn Jahre her sein, kurzbevor ich zum Kindbett deiner Mutter gerufen wurde. Eine junge Frau kam zu mir. Sie war sehr schön und von hoher Geburt. Aber sie hatte sich von einem verheirateten Mann verführen lassen und erwartete nun ein Kind. Monatelang hatte sie sich versteckt und vorgegeben, auf eine Pilgerfahrt gegangen zu sein, denn sie wollte das Kind gern behalten. Ich habe ihr von Anfang an davon abgeraten, doch sie wollte nicht hören. Sie liebte diesen Mann und sagte, wenn sie ihn schon nicht haben könne, so wolle sie wenigstens sein Kind behalten.» Mit einem weiteren prüfenden Blick hinter sich trat Ludmilla noch näher an das Fenster heran. «Ich kümmerte mich um sie und half ihr, als ihre schwere Stunde kam. Doch sie bekam Fieber, und die Wehen dauerten viel zu lange. Da nahm ich das Mutterkorn. Die Weise Frau, bei der ich gelernt habe, hat mich davor gewarnt und mir viele Male geraten, äußerst vorsichtig damit umzugehen. Doch ich war noch unerfahren und aufgeregt, da habe ich wohl versehentlich zu viel davon genommen. Die junge Frau wurde sehr krank davon, sie war sogar eine lange Weile regelrecht von Sinnen, dass ich schon dachte, ich müsse sie ins Narrenhaus der Stadt bringen. Das Kind überlebte. Aber es war nicht normal. Das Gesicht schief, der Körper ganz verschrumpelt. Ich weiß nicht, ob es im Bauch schon so war oder ob das Gift das bewirkt hat. Jedenfalls wollte ich es wegschaffen. Doch die Frau wehrte sich in ihrem Wahnsinn dagegen und drohte, sich ebenfalls das Leben zu nehmen, wenn dem Kind etwas geschähe.»
Adelina sah Ludmilla mit klopfendem Herzen an.
«Es war Irmingard, nicht wahr?»
Ludmilla nickte.
«Als sie nach langer Zeit endlich genesen war, so glaubte ich jedenfalls, nahm sie das Kind und wollte indie Stadt zurück. Sie hatte vor, in einen der Beginenhöfe einzutreten. Das tat sie dann auch tatsächlich, das Kind gab sie als den Sohn ihrer verstorbenen Halbschwester aus. Irmingard war … sie ist eine ehrgeizige Frau. Sie war lange bei mir und hat einiges von mir gelernt. Mehr noch als du, denn du warst nur kurz bei mir, und ich hatte gehofft, dass du alles vergessen hättest. Aber jetzt … Ich muss fort, bevor es hell wird.» Ludmilla zog ihren Schal noch fester ums Gesicht und wandte sich ab.
«Warte!», rief Adelina ihr mit gedämpfter Stimme hinterher. Ludmilla wandte fragend den Kopf.
«Dieser verheiratete Mann, weißt du, wie sein Name war?»
Ludmilla schwieg einen Moment, dann nickte sie.
«Lufard von Schiederich», raunte sie. Dann drehte sie sich endgültig um und verschwand geräuschlos um die Hausecke.
Adelina starrte noch lange in die Dunkelheit. Irmingard war die Mörderin. Sie hatte es auch ohne Ludmillas Geständnis gewusst. Und Lufard von Schiederich war das fehlende Bindeglied. Lufard war der engste Vertraute von Hilger Quattermart. Er hatte Einfluss auf Irmingard. Vielleicht liebte sie ihn noch immer und tat deshalb alles, was er von ihr verlangte. Mit klopfendem Herzen verschloss Adelina den Fensterladen und ließ sich gegen den Spülstein sinken. Wie war es möglich, dass Irmingard sogar ihr eigenes Kind geopfert hatte? Das Kind, dessen Vater Lufard war? Sie musste noch immer wahnsinnig sein. Nach all den Jahren, die sie Adrian aufopferungsvoll gepflegt hatte. Womit mochten ihr Lufard oder Hilger gedroht, womit sie gelockt haben?
Irmingard war Brigittas Stellvertreterin und wahrscheinlich inzwischen schon zur neuen Grande Damegewählt worden. Und falls nicht, würde es nicht lange dauern. Doch wenn herauskäme, dass sie ein uneheliches Kind, noch dazu von einem verheirateten Mann gehabt hatte, würden die Beginen sie nicht an die Spitze aller Kölner Beginenhöfe setzen. Der Skandal wäre einfach zu groß. Witwen und unverheiratete Mädchen, auch verstoßene Ehefrauen fanden Unterschlupf in der frommen Gemeinschaft, zuweilen auch Frauen mit unehelichen Kindern. Doch Letztere wurden niemals in leitende Positionen gewählt. Es war einfach unvorstellbar.
Hatte Irmingard also das eigene Kind ihrem Ehrgeiz geopfert? Adelina spürte eine eisige Kälte in sich aufsteigen.
Und nachdem Irmingard erfahren hatte, dass Adelina der Ursache für die ersten Todesfälle, dem Schierling, auf der Spur war, hatte sie ein anderes Gift benutzt. Eines, von dem sie angenommen hatte, niemand könne es erkennen.
Aber nun
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