Tod im Beginenhaus
geheizte Schreibzimmer und setzten sich ans Feuer.
«Ich muss Euch etwas sagen», begann Adelina. Sie lockerte ihre Haube ein wenig. «Ich glaube eigentlich nicht, dass es eine Krankheit ist.»
«Keine Krankheit?» Die Leiterin des Hospitals hob irritiert die Brauen. «Aber was kann es denn sonst sein? Das Essen war doch völlig in Ordnung!»
«Vielleicht nicht ganz. Ich glaube, dass sie etwas Giftiges gegessen haben. Die Symptome lassen darauf schließen.»
Irmingard richtete sich abrupt auf und starrte sie an.
«Unsere Patienten essen fast täglich Haferbrei oderHaferpfannkuchen. Da gibt es nichts Giftiges. Wie sollten sie wohl daran gelangt sein?»
Adelina hielt dem Blick stand.
«Ich habe darüber nachgelesen. Die Krämpfe und Lähmungen sind typische Anzeichen für eine Vergiftung durch Schierling.»
«Schierling?» Irmingard runzelte die Stirn. «So etwas wächst in unserem Garten nicht. Wie also sollte etwas davon ins Essen unserer Patienten gelangt sein? Und warum nur bei diesen drei?» Adelina schwieg, und Irmingard zog entrüstet die Brauen zusammen. «Wollt Ihr etwa sagen, jemand habe ihnen den Schierling absichtlich gegeben?» Sie schüttelte energisch den Kopf. «Wer sollte so etwas denn tun? Und warum? Balthasar hatte doch niemandem etwas getan und Reinhild und mein armer Adrian auch nicht. Mein armer Adrian …», sie blickte zum Fenster hinaus und dann wieder zu Adelina. «Das ist völlig unmöglich.»
Dann seufzte sie und legte Adelina eine Hand auf den Arm. «Ich finde es schön, dass Ihr so besorgt seid, und ich weiß, dass Ihr mit Reinhild befreundet wart. Ihr Tod hat uns alle betroffen gemacht. Aber sie wurde nicht vergiftet! Und mein Neffe ebenfalls nicht. Ich habe sein Essen selbst hinaufgebracht.»
«Jemand könnte vorher …», begann Adelina, doch Irmingard schnitt ihr das Wort ab.
«Schwester Bertrande vielleicht, die für unsere Patienten kocht? Sie ist fünfzehn Jahre alt! Ihr habt Euch da in etwas verrannt, Adelina. Auch wenn wir die Krankheit nicht kennen … Aber seid versichert, dass ich alles mir Mögliche tun werde, um zu verhindern, dass sie sich weiter verbreitet. Und nun muss ich Euch leider bitten zu gehen. Meine Pflichten rufen.» Siegeleitete Adelina bis zur Pforte. «Macht Euch keine Sorgen. Ich weiß ja, warum Ihr unserem Hospital so verbunden seid. Es ehrt Euch, dass Ihr so viel Zeit hier verbringt.» Irmingard lächelte herzlich, dann schloss sich die Tür des Beginenhauses, und Adelina stand allein auf der Straße …
Statt nach Hause zu gehen, machte sie sich auf den langen Weg quer durch die Stadt bis zur Straße, die zur Hohen Pforte führte. Dort hatte Reinhild gewohnt. Georg Reese, ihr Gemahl, besaß eines der schönsten und größten Häuser des Viertels. Es hatte eine frisch gekalkte Fassade, und die oberen beiden Stockwerke besaßen sogar Glasfensterscheiben. Ein hässlicher Wasserspeier mit gebogenem Hals und Schlangenfratze empfing die Besucher neben dem Eingang. Unschlüssig blieb Adelina auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen. Der Kaufmann würde nicht erfreut sein, sie zu sehen. Wenn sie begann, ihm unangenehme Fragen zu stellen, wäre sie mit Sicherheit im Handumdrehen wieder draußen. Die Warnung des Medicus klang ihr in den Ohren: «Lasst die Finger davon.»
Für einen Augenblick überkam sie ein seltsamer Gedanke. Hatte er einen Grund, sie zu warnen? Als Medicus kannte er die Wirkweise des Schierlings sehr genau. Sie schüttelte den Kopf. Er konnte mit den Todesfällen nichts zu tun haben. Schließlich war er gerade erst in die Stadt gekommen. Dennoch, ein merkwürdig flaues Gefühl blieb.
In dem Moment öffnete sich die Haustür, und ein gebeugtes altes Weib trat auf die Straße, die Magd, die auf Reinhilds Beerdigung gewesen war. Sie schleppte einen Arm voll schmutzigem Stroh und warf es an denStraßenrand. Anscheinend wurde gerade die Eingangshalle gereinigt. Adelina straffte die Schultern und ging auf die Alte zu.
«Verzeih, gute Frau, kann ich dich wohl kurz sprechen? Mein Name ist Adelina Merten.»
Die Magd hob erstaunt den Kopf.
«Mein Herr ist nicht im Hause.»
«Das ist in Ordnung, ich möchte zu dir.»
Argwöhnisch trat die Alte einen Schritt näher.
«Ich habe Euch schon mal gesehen. Ihr wart auf der Beerdigung meiner lieben Herrin, Gott hab sie selig.» Sie bekreuzigte sich flüchtig. «Was wollt Ihr von mir?»
«Ich möchte dich etwas fragen. Kannst du dir vorstellen, dass dein Herr …, ich meine, war Reinhild
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