Tod im Botanischen Garten - Frank Beauforts dritter Fall
anschauen, die Schifferli betreut hat. Vielleicht finden wir dort etwas Verdächtiges. Manche sind frei zugänglich wie der Botanische Garten, andere wie das Herbarium sind es nicht.«
»Dann überzeuge ich am besten den Chef vom Dienst davon, dass wir über die Ausstellung nächste Woche berichten. Dazu muss ich ja in der einen oder anderen Sammlung ein Interview führen.« Anne schaute auf die Uhr. »Noch müsste er in der Redaktion sein.« Sie rief ihn an und erhielt problemlos den Auftrag.
Die beiden entwarfen einen Schlachtplan. Nicht öffentlich waren die Zoologische Sammlung von Professor Adler, das Herbarium im Südgelände, für das ebenfalls Dr. van der Veldt verantwortlich war, die Sternwarte von Professor Corrodi, die Geologische Sammlung, die derzeit keinen Beauftragten hatte, und die Schatzkammer der Universitätsbibliothek, in die Beaufort über Professor Harsdörffer aber jederzeit hineinkonnte. Durch die Informatiksammlung, die ein Juniorprofessor namens Libor Paschek betreute, gab es jeden zweiten Sonntag öffentliche Führungen. Der Botanische Garten war täglich geöffnet. Die Antikensammlung von Professor Degen, den Beaufort auf Harsdörffers Jour fixe bereits kennengelernt hatte, war am Wochenende geöffnet. Dasselbe galt für die Ur- und Frühgeschichtliche Sammlung von Professor Gäbelein.
»Höre ich da gerade den Namen Professor Gäbelein? Das ist doch der Mann, der den Erlanger Neandertaler entdeckt und beschrieben hat?« Wolf-Dieter war mit der Flasche Scheurebe herausgekommen, um ihnen nachzuschenken und hatte den letzten Brocken des Gespräches aufgeschnappt.
»Erlanger Neandertaler?«, entgegnete Beaufort erstaunt. »Das sagt mir nichts. Ich bin dem Professor vor ein paar Tagen bei meinem alten Doktorvater begegnet, weiß aber weiter nichts über ihn. Kennst du den?«
»Der Mann ist eine echte Koryphäe auf seinem Gebiet. Er hat in einer Höhle, die der Universität gehört, Ausgrabungen geleitet und ist auf Knochenreste von Neandertalern gestoßen. Offenbar eine Sensation in Wissenschaftskreisen. Das ist aber schon etliche Jahre her.« Wolf-Dieter wirkte wieder ganz nüchtern.
»Seit wann interessierst du dich für Frühgeschichte?«, wollte Anne wissen.
»Tue ich ja gar nicht. Aber der Professor ist ein Kunde von mir und hat’s mir erzählt. Er kauft immer einen Karton von meinem Elbling. Der steht nämlich auch wahnsinnig auf Antike, und der Elbling ist eine uralte Rebsorte, die schon von den Römern kultiviert wurde, heute aber nur noch von einer Handvoll Winzer in Deutschland angebaut wird. Ein recht rarer Tropfen.«
»Und warum hast du uns von dem nie etwas angeboten?«, fragte Beaufort mit gespielter Entrüstung.
»Ein schweres Versäumnis. Dann gehe ich mal eben eine Flasche holen.« Und wieder verschwand Wolf-Dieter in seinem Laden.
»Ein Frühgeschichtler, der sich für Griechen und Römer interessiert? Da schau her. Und da behaupten die Leute immer, unsere Wissenschaftler leben in einem Elfenbeinturm und sind reine Fachidioten. Dabei überblickt dieser Mann ganze Jahrtausende der Menschheitsgeschichte.«
»Da ist er aber eindeutig die Ausnahme«, widersprach Anne energisch. »Wenn ich mich an mein erstes und einziges Semester Germanistik erinnere, kann ich das nicht bestätigen. All diese überflüssigen Literaturtheorien: Strukturalismus, Dekonstruktion, Hermeneutik. Da bekomme ich jetzt nocheinen Ausschlag, wenn ich dran denke. Diese Hermeneutiker beschäftigen sich doch den ganzen Tag mit nichts anderem, als aus Texten etwas herauszuholen, was gar nicht drin steht.«
Beaufort musste über Annes Furor lächeln. »Aber dafür sind sie doch Theoretiker und keine Praktiker. Wenn jemand über Dinge schreiben darf, die er nicht kennt, dann ein Theoretiker.«
Ein Argument, das Anne nicht zu überzeugen vermochte.
»Für unsere Ermittlungen ist das sogar von Vorteil, wenn du dem Universitätsbetrieb gegenüber so kritisch eingestellt bist. Dann lässt du dich nicht so leicht beeindrucken. Schließlich könnte ja einer der Akademiker, die wir befragen, der Mörder sein.«
Der Weinhändler servierte zwei Gläser Elbling, den sie überraschend gut fanden: herb, kernig und fruchtig. Dann klappte Anne ihren Laptop auf und schrieb Mails an die Sammlungsbeauftragten mit der Bitte um ein baldiges Interview für den BR. Das Anatomische Institut mailte sie ebenfalls an, obwohl das nicht in Schifferlis Ressort gehört hatte. Aber Anne fand es wichtig, auch ein paar
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