Tod im Dom
nervös entgegen, doch seine Nervosität ließ abrupt nach, als er nur einen Blinden und eine zwar mikroskopisch kleine, dafür aber besonders hinreißende junge Frau erblickte. Machetzky selbst war keine angenehme Erscheinung, verfettet, glatzköpfig und vor lauter Bluthochdruck so rot im Gesicht, daß jede Tomate vor Neid erblaßt wäre. Er schwitzte, als wollte er sich noch während unseres Besuchs vollständig in Flüssigkeit auflösen, und das konnte nicht nur an der überhitzten Wohnung liegen.
Vielleicht lag es mehr an der Wölbung unter seinem maßgefertigten Jackett, die meinem geschulten Auge sofort auffiel. Vielleicht war er es nicht gewöhnt, eine Waffe zu tragen.
»Sie sind Makarow?« fragte er argwöhnisch. »Und Sie behaupten, Pastich hätte Sie geschickt?«
Er schloß die Tür und griff unter sein Jackett. Darauf hatte ich nur gewartet. Ich holte mit dem Blindenstock aus und erwischte ihn am linken Knie. Er schrie auf und hüpfte auf einem Bein im Flur herum, dann erwischte ihn mein nächster Schlag am Kinn und streckte ihn zu Boden.
»O Gott!« wimmerte er.
Ich drückte ihm die Stockspitze gegen die Kehle, und er röchelte nur noch.
»Harry!« rief Anja entsetzt, »willst du ihn umbringen?«
Das wollte ich nicht – ich hatte nur zuviel Cognac getrunken und Probleme mit der Motorik. Außerdem schien ich mich einen Moment lang zu stark mit der Onkel-Makarow-Persönlichkeit identifiziert zu haben, und Onkel Makarow haßte es, mit einer Pistole bedroht zu werden.
»Durchsuch ihn«, befahl ich Anja.
Anja durchsuchte ihn und förderte außer einer Brieftasche, die mich schon aus beruflichen Gründen stark interessierte, eine handliche Mauser zutage. In ihre Augen trat ein verdächtiges Funkeln, und ich nahm ihr die Waffe sofort ab und steckte sie ein. Ich wußte, wieviel Unheil sie allein mit einem Schlachtermesser anrichten konnte; mit einer Mauser in der Hand war sie eine ernste Bedrohung für ganz Schwabing.
»O Gott!« sagte Machetzky wieder. »Was wollen Sie von mir? Wollen Sie Geld? In meiner Brieftasche ist Geld! Nehmen Sie sich alles, aber lassen Sie mich um Gottes willen am Leben!«
Ich nahm die Brieftasche, durchstöberte sie und warf sie auf den Tisch, ohne sein freundliches Angebot angenommen zu haben. Ich war nicht zum Stehlen hier.
»Ich will kein Geld«, sagte ich, »sondern Antworten.«
»Antworten? Was für Antworten? Was soll das alles? Wer schickt Sie? Was haben Sie mit Pastich zu tun? Warum überfallen Sie mich? Wieso…«
Während er die Worte wie Brause hervorsprudelte, rollte er sich auf die Seite und griff fast beiläufig nach meinem Blindenstock. Ich drosch ihm auf die Hand, und er winselte wieder. Dann nahm ich die Brille ab.
»O Gott!« sagte Machetzky erneut, als wollte er mich mit seiner Religiosität beeindrucken. »Sie können ja sehen!«
»Mehr als manch anderer«, bestätigte ich. »Aber reden wir nicht über meine Augen, reden wir über Pastich, Schönbrunn, die KoKo- Geschäfte.«
»Was für Geschäfte?« fragte Machetzky frech. »Ich weiß überhaupt nicht, wovon…«
Ich griff in die Tasche und zeigte ihm eine meiner Handgranaten. Plötzlich wurde er aschfahl, Todesangst flackerte in seinen Augen. Meiner Harry-Hendriks-Persönlichkeit tat er leid, doch Onkel Makarow sah es mit grimmiger Befriedigung.
»Okay, Machetzky«, sagte ich, »Sie scheinen endlich zu verstehen. Ich habe nichts gegen Sie, aber Sie sind der einzige Mensch, der mir die Antworten geben kann, die ich brauche, und ich werde diese Antworten bekommen, und wenn ich sie mit der Granate aus Ihnen heraussprengen muß. Kapiert?«
Er nickte und schwitzte wie eine undichte Dachrinne. Anja sah mich furchtsam von der Seite an und wich sogar einen halben Schritt zurück, und das gefiel dem Onkel Makarow in mir.
»Kommen wir zu Pastich«, wandte ich mich barsch an Machetzky. »Sie haben mit ihm Geschäfte gemacht. Illegale Geschäfte. Richtig?«
»Richtig«, bestätigte Machetzky, die Blicke starr auf die Handgranate gerichtet. »Pastich hatte Anfang der Achtziger mit DDR-Kapital eine Reihe von Firmen gegründet, die in Holdings im schweizerischen Tessin eingebracht wurden. Sie sollten die DDR mit Embargogütern versorgen; hauptsächlich Computer, aber auch High-Tech-Ware für das MfS, Wanzen, Lasermikrofone und so weiter. Ich habe die Computer in Japan eingekauft und legal nach Österreich importiert. Dort wurden sie umgeladen und mit falschen Frachtpapieren über die CSSR in die DDR
Weitere Kostenlose Bücher