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Tod im Dünengras

Tod im Dünengras

Titel: Tod im Dünengras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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gestürzt war, und
verbot sich auch, die Stelle näher zu betrachten, an der sie in ihrem Blut
gelegen hatte. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt den Vitrinen mit dem Modeschmuck.
Jedes Teil nahm sie zur Hand, das nur entfernte Ähnlichkeit mit dem Kettchen
aufwies, das sie ihrer Schwiegertochter zum Geburtstag schenken wollte. Doch
jedes Mal legte sie es enttäuscht zurück. Die Kette mit dem Kreuz, die Utta
Ingwersen getragen hatte, war nicht darunter.
    Sie trat von einem Bein aufs andere, während Giovanna und
Vera in Vorfreuden schwelgten, und mischte sich erst ein, als Vera abschließend
jubelte: »Wir werden Sie ganz groß rausbringen! Es würde mich nicht wundern,
wenn wir mit Ihnen den Wettbewerb sogar gewinnen!«
    Mit der gebotenen Bescheidenheit, aber doch so, dass ihr Anliegen
nicht übergangen werden konnte, bat Carlotta: »Können Sie mir zeigen, wo die
Ketten mit den Kreuzen liegen? Sie wissen doch, ich wollte meiner
Schwiegertochter eine schenken.«
    Vera Ingwersen fiel sofort ein, wovon sie sprach, und Mamma Carlotta
rechnete es ihr hoch an, dass sie sich am Morgen gründlich im Sortiment ihrer
Schwiegermutter umgesehen hatte. »Ich habe sogar die Lieferscheine
kontrolliert. Nirgendwo bin ich auf die Kettchen gestoßen!«
    Mit dieser Auskunft hatte Mamma Carlotta nicht gerechnet. »Aber Ihr
Schwiegervater hat es gesagt«, beharrte sie. »Seine Frau habe die Kettchen für
den Laden bestellt und sich selbst eins davon genommen, weil es ihr so gut
gefiel.«
    Vera Ingwersen hob ratlos die Schultern. »Wie gesagt, ich habe
nichts gefunden. Auch nicht in den Bestellungen, den Abrechnungen und den
Lieferpapieren. Vielleicht haben Sie etwas falsch verstanden?«
    Mamma Carlotta wusste genau, dass sie alles richtig verstanden hatte,
aber wie sollte sie das beweisen? Im Übrigen kam es darauf ja auch gar nicht
an. Wichtig war nur, dass die Kette das richtige Geburtstagsgeschenk für Sandra
gewesen wäre und sie nun sehen musste, dass sie etwas anderes fand, das genauso
hübsch und geeignet war. Wirklich sehr ärgerlich!
    In diesem Moment erschien Kundschaft, die Vera Ingwersens ganze
Aufmerksamkeit beanspruchte. Touristen, die die Umrisse der Insel Sylt als
Autoaufkleber haben wollten, andere, die sich umständlich eine Teetasse mit der
Aufschrift ›Westerland ahoi!‹ aussuchten, und eine Nachbarin, die nur gekommen
war, um sich darüber zu wundern, dass Vera den Laden geöffnet hatte. »Aber Sie
haben ja recht, das Leben geht weiter! Und Geschäft ist Geschäft!«
    Währenddessen half Giovanna, nach einem Kettchen mit einem
Kreuzanhänger zu suchen, aber sie war genauso erfolglos. Immerhin gelang es
ihr, Mamma Carlotta von einem anderen Geschenk zu überzeugen: einer zierlichen
Brosche in Form einer Möwe. Giovanna war sicher, dass Sandra, die noch nie im
Leben eine Möwe gesehen hatte, dieses Geschenk schätzen würde. Aber noch
während Mamma Carlotta bezahlte, beklagte sie, dass die Kette mit dem Kreuz
nicht mehr zu haben war.
    Â»Ich werde in allen Katalogen nachsehen«, versprach Vera. »Und wenn
ich die Kette nachbestellen kann, nehme ich die Brosche natürlich zurück.«
    Mamma Carlotta war vorerst besänftigt. Sie beobachtete Vera
Ingwersen, die die Brosche als Geschenk verpackte und dabei genau auf der
Stelle stand, an der ihre Schwiegermutter ihr Leben ausgehaucht hatte. Entweder
war sie gemütsarm oder einfach nur geschäftstüchtig – zumindest merkte man ihr
keinerlei Gefühlsregung an. Womöglich hatte Vera ihre Schwiegermutter so wenig
gemocht, dass ihr Tod ihr nicht besonders naheging. Schließlich hatte niemand
Utta Ingwersen richtig gern gehabt, während ihr Mann von allen geschätzt wurde.
    Da öffnete sich die Zwischentür, die ins Restaurant führte, und Harm
Ingwersen erschien. Er begrüßte Giovanna und Carlotta mit geschäftsmäßiger
Freundlichkeit und wandte sich dann an Vera: »Kommst du klar? Hast du alles
gefunden, was du brauchst?«
    Vera blickte nicht auf, während sie murmelte: »Alles bestens.«
    Harm Ingwersen sah seine Schwiegertochter prüfend an. Dass sie so
kurz angebunden reagierte, schien ihm nicht zu gefallen. Nervös drehte er den
Briefumschlag hin und her, den er in Händen hielt.
    Mamma Carlotta bewunderte ihn heimlich. In ihrem Dorf waren die
Männer über fünfzig entweder dickbäuchig und feist oder

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