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Tod im Dünengras

Tod im Dünengras

Titel: Tod im Dünengras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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wenn er es selbst auch nicht glauben
mochte. Das Schönste an ihm war vermutlich sein Lächeln. Es verriet viel von
seiner Warmherzigkeit und von dem ehrlichen Bemühen, den Nächsten so zu lieben
wie sich selbst. Zum Dank dafür wurde auch er geliebt. Von seinen
Ballettschülerinnen, die er am Nachmittag im ersten Stock seiner Tanzschule im
Spitzentanz unterrichtete, und von den Jugendlichen, die am Abend bei ihm
Standard- und lateinamerikanische Tänze lernten. Von den erwachsenen
Mitgliedern der diversen Tanzkreise ganz zu schweigen.
    Carolin stieß ihre Großmutter an, während sie hinter Willem Jäger
die Treppe in den Ballettsaal hinaufstiegen, der abends dem Inselchor zur
Verfügung stand. »Was starrst du ihn so an?«
    Carlotta konnte ihren Blick nur mit Mühe von dem Tanzlehrer lösen,
der gerade eine weitere seiner Süßen herzte und ihr versicherte, dass sie heute
besonders süß aussähe.
    Â»Der ist so … anders.«
    Carolin grinste. »Schwul eben.«
    Â»Was ist das? Schwul?«
    Â»Pscht! Nicht so laut! Sonst denkt er noch, du machst dich über ihn
lustig.«
    Â»Warum sollte ich das tun?«
    Mittlerweile waren sie im Ballettsaal angekommen, wo die anderen
Chormitglieder warteten. Vera zählte sie besorgt.
    Â»Wo ist Rosi?«
    Â»Schwanger!«
    Â»Kein Grund, mit dem Singen aufzuhören.«
    Â»Aber ihr ist ständig übel.«
    Vera seufzte. »Wenn das so weitergeht, werden wir am Chorwettbewerb
nicht teilnehmen können, weil wir die Mindestzahl der Sänger nicht erreichen,
die ein Chor braucht.« Sie wandte sich lächelnd Carlotta zu. »Zum Glück haben
wir Zuwachs bekommen.«
    Mamma Carlotta wurde gebeten, sich vorzustellen und über ihre
Erfahrungen im Chorgesang zu berichten, sodass sie nun doch nicht ohne ein paar
gewaltige Übertreibungen auskam, damit niemand auf die Idee kam, sie für eine
Dilettantin zu halten. So aber freuten sich alle, dass eine italienische Mama
zur Rettung des Chors angetreten war.
    Während Vera die Noten sortierte, die an diesem Abend geprobt werden
sollten, tuschelte Mamma Carlotta ihrer Enkelin zu: »Nun sag schon! Was ist mit
dem netten Herrn Jäger?«
    Carolin wandte sich sichtlich ungern von dem blonden Jungen ab, der
ihr gerade etwas ins Ohr geflüstert hatte, was ihr ein aufgeregtes Kichern
entlockte. »Ich sag doch, er ist schwul!«, zischte sie. »Er liebt keine Frauen,
sondern Männer! So was dürfte man auch in Umbrien schon gehört haben.«
    Damit hatte sie recht. Trotzdem war Mamma Carlotta konsterniert. Ein
derart schöner und netter Mann – und dann so was! Ob es Sinn hatte, ihm ins
Gewissen zu reden, damit er seine Einstellung noch einmal überdachte?
    Darüber grübelte sie noch immer nach, obwohl Carolin ihr später auf
dem Heimweg dringend davon abgeraten hatte, sich dieses Problems anzunehmen,
das für Willem Jäger keins war. Aber Carolin war ja noch so jung. Was wusste
sie schon vom Leben und von der Liebe? Andererseits … vielleicht war es
tatsächlich besser, sich nicht um Willem Jäger zu kümmern, sondern stattdessen
lieber ein Auge auf diesen blonden Jüngling zu haben, der sich den ganzen Abend
in Carolins Nähe herumgedrückt hatte. Die erste Liebe eines jungen Mädchens war
etwas so Wichtiges, da durfte man nichts dem Zufall überlassen. Carolin hatte
keine Mutter mehr, die über das Glück ihres Kindes wachen konnte, also musste
ihre Großmutter sich darum kümmern. Wie gut, dass das Chorsingen ihr zu dieser
Chance verhalf. Wenn Michael Ohlsen ihre Enkelin unglücklich machen wollte,
dann würde sie es zu verhindern wissen. Dafür waren Großmütter da!
    Sie war so in ihre Grübelei versunken, dass sie gar nicht merkte,
wie Fietje zu ihr trat. Daher erschrak sie heftig, als plötzlich eine Stimme
sagte: »So in Gedanken, Signora?«
    Â»Fietje! Sie sind wirklich ein Meister im Anschleichen!«
    Der Strandwärter trat von einem Bein aufs andere, als hätte er etwas
Wichtiges mitzuteilen. Schließlich druckste er: »Was ich noch sagen wollte,
Signora … ich werde Ihrem Schwiegersohn natürlich nichts verraten. Das mit
dem Vino in Käptens Kajüte, meine ich. Jawoll!«
    Mamma Carlotta war erleichtert. Dass nun ein Zugeständnis von ihr
erwartet wurde, gefiel ihr zwar nicht, aber sie wusste, dass ihr nichts anderes
übrig blieb.

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