Tod im Dünengras
reagiert hatte und ob mit
Vorwürfen zu rechnen war, weil Carolin beim Einsetzen der Dunkelheit ohne
groÃmütterlichen Schutz von Keitum nach Wenningstedt geradelt war.
Möglicherweise würde Erik beruhigt sein, wenn er hörte, dass ein kräftiger
junger Mann seine Tochter auf dem Weg beschützt hatte, möglich war aber auch,
dass Erik ihr genau das vorwerfen würde. Carolin war noch nie verliebt gewesen!
Wie also sollte Mamma Carlotta wissen, wie ihr Vater auf den ersten Mann in
ihrem Leben reagierte?
Nur gut, dass reichlich Eier im Haus waren und jede Menge von dem
durchwachsenen Speck, den Erik so gern zum Rührei aÃ. Mamma Carlotta beeilte
sich, die Pfanne auf den Herd zu stellen. Wenn der Duft des kross gebratenen
Specks durchs Haus zog, standen die Chancen, dass ihr verziehen wurde, auf
jeden Fall besser.
Es war aber auch unmöglich gewesen, der netten Plauderei aus dem
Wege zu gehen, die sich nach der Chorprobe angebahnt hatte. Für die
Chorleiterin und ihre Schwiegermutter schien es Gewohnheit zu sein, sich
anschlieÃend an die kleine Bar zu setzen, die Willem Jäger unterhielt. Als sich
dann noch die Paare des Tanzkreises dazugesellten, war im Nu eine fröhliche
Runde beisammen, der Mamma Carlotta sich unmöglich entziehen konnte. Der nette
Herr Jäger hatte sie sogar ausdrücklich gebeten, sich dazuzusetzen, und von
Utta Ingwersen war sie regelrecht genötigt worden. Warum sie Wert auf Carlottas
Gesellschaft legte, stellte sich bald heraus. In dem neuen Chormitglied hatte
sie jemanden gefunden, der sich anhörte, was bei allen anderen längst
Fluchtreflexe auslöste: die Karriere, die sie der Familie geopfert hatte.
Während die anderen sich witzige Geschichten erzählten, zu denen
Mamma Carlotta gerne die eine oder andere beigetragen hätte, lieà sich Utta
Ingwersen darüber aus, wie entbehrungsreich das Leben der Frauen im Allgemeinen
und das ihrige im Besonderen sei. Von dem Zorn, der in Mamma Carlotta
heranwuchs, bemerkte sie nichts. Und der Frage, wie sie sich über ein so
bequemes und sicheres Leben beklagen könne, entging sie nur, indem sie Mamma
Carlotta ein freundliches Angebot unterbreitete.
Die hatte gerade erwähnt, dass ihre Schwiegertochter, die Frau ihres
ältesten Sohnes Guido, bald Geburtstag hatte. »Sandra wünscht sich, dass ich
ihr etwas von Sylt mitbringe. Sonst bekommt sie ja immer Stoff für ein Kleid,
den sie sich selbst im Laden von Signorina Augusta aussuchen kann. Aber diesmal
will sie unbedingt ein Souvenir von Sylt.«
»Dann kommen Sie doch morgen früh bei mir vorbei«, hatte Utta
Ingwersen vorgeschlagen. »In meinem Laden werden Sie schon was finden. Wir
können auch jetzt noch in den Laden gehen, wenn Sie Zeit haben. Ich habe
sowieso heute Abend noch dort zu tun. Die Umsatzsteuererklärung! Morgen habe
ich einen Termin bei meinem Steuerberater.« Und tuschelnd hatte sie
hinzugefügt: »Ich gebe Ihnen Prozente.«
Das hatte den Ausschlag geben! Für einen groÃzügigen Nachlass war
Carlotta bereit, sich Utta Ingwersens sämtliche verpassten Gelegenheiten noch
einmal anzuhören. Mit der Umsatzsteuererklärung wollte sie sie zwar allein
lassen, aber am nächsten Morgen würde sie gleich um neun vor der Tür der
Perlenmuschel erscheinen, um etwas Hübsches für Sandra auszusuchen. Dann blieb
noch genug Zeit, um in Käptens Kajüte einzukehren und Tove auf den Zahn zu
fühlen. Es wurde Zeit, dass er ihr verriet, warum er so nervös geworden war,
als sie die Mafia erwähnt hatte.
Sie hörte Eriks Schritte schon auf der Treppe, noch ehe das Olivenöl
heià war. Und dann seine Stimme: »Wir treffen uns in der Nordseeklinik!«
Er klappte sein Handy zusammen, während er die Küche betrat, warf
einen sehnsüchtigen Blick zur Pfanne, wünschte zerstreut einen guten Morgen und
ging zur Espressomaschine. »Zum Frühstücken habe ich keine Zeit.«
»Ist was passiert?«, fragte Mamma Carlotta erschrocken.
»Henner Jesse ist aus dem Koma erwacht.«
»Er hat im Koma gelegen? Du hast gesagt, es wäre nicht so schlimm,
und er würde bald wieder auf die Beine kommen!«
»Ja, ja â¦Â« Erik begann zu
stottern. »So sah es zunächst aus. Aber dann ist er eben ins Koma gefallen.«
»Das hast du mir nicht erzählt!« Mamma Carlotta war empört. Jemand,
dem Jesses Schicksal so naheging wie ihr,
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