Tod im Ebbelwei-Express (German Edition)
begann sich wieder zu drehen, wenn auch etwas stotternd. Das ungläubige Staunen der Gäste verwandelte sich augenblicklich in eine ausgelassene Heiterkeit, die so weit um sich griff, daß auch das weiter entfernt sitzende Publikum wissen wollte, was sich denn an jenem Tische Ungeheuerliches zugetragen habe. Nicht auszudenken, was wohl geschehen wäre, hätte die Dame auf die Schokostreusel bestanden.
Selbstredend dauerte es eine ganze Weile, wie sich jedermann leicht denken kann, bis im Schoppepetzer wieder so etwas wie Alltag eingekehrt war. Und ebenso selbstredend war Herr Schweitzer ein wenig stolz, einen derart kniffligen Fall gelöst zu haben. Detektiv bleibt eben Detektiv.
Ein wenig Aufsehen erregte späterhin noch ein mutiger Tourist aus Vancouver, British Columbia, der sich aus seiner Reisegruppe gelöst hatte, und die Schokostreusel-Dame um Erlaubnis bat, ein Foto schießen zu dürfen. Offensichtlich hatte jemand die unglaubliche Geschichte übersetzt. Die Dame mit dem Bolero bewies Humor, gab dem Kanadier ihre Adresse und bat ihrerseits um einen Abzug.
Das Offenbacher Wetteramt hatte Sonne versprochen. Die gab’s auch. In Peru. In Australien. Und mit Sicherheit auch hoch droben über der geschlossenen Wolkendecke. Aber Offenbacher sollte man grundsätzlich für nichts haftbar machen. Das gilt auch fürs Wetter.
Es war Montag, der Tag, an dem Bertha erstmalig eine Rate an die Mafia zahlen sollte, und der Herrn Schweitzers Leben um eine Facette bereicherte, auf die er liebendgerne verzichtet hätte. Noch ahnte er jedoch nichts davon.
Gemütlich lag er auf dem Sofa. Der gestrige Sportstudioaufenthalt hatte weitaus weniger katastrophale Folgen als der erste Besuch. Seinen Kopf hatte er kommod auf ein flauschiges Kissen gebettet. In den Händen hielt er die Übersetzung der Kassette, die sie im Weinfaß aufgenommen hatten. Die verschnörkelte Schrift konnte nur von einer Frau stammen. Wahrscheinlich Tatjana, die Putzhilfe von René, tippte er.
Er las: „Kannst du mich nächsten Monat mitnehmen?“ „Du schuldest mir noch zehn Euro“, „Kriegst du am Samstag“, „Arbeitet deine Schwester immer noch in Moskau?“, „Du magst sie wohl …“, „Sieht sie gut aus, deine Schwester?“, „Die ist nichts für dich“, „Woher willst du das wissen? Ich mache Karriere“, „Na logisch, du und Karriere“, „Ich brauch vorher noch einen neuen Reifen, der hintere verliert Luft“, „Geh doch zum Rumänen, der ist billig.“
Am Ende stand noch der Vermerk, daß einer der Beteiligten trotz perfekter russischer Sprachkenntnisse wohl Ausländer, eventuell sogar Pole sei.
Wenn man es nicht besser wüßte, dachte Herr Schweitzer, könnte man annehmen, die Wassertrinker hätten Wind von der Abhöraktion bekommen und bewußt ausschließlich belangloses Zeugs geredet. Absolut nichts enthielt auch nur entfernt einen verwertbaren Hinweis. Herr Schweitzer seufzte, er war tief enttäuscht. Nicht mal einen Vornamen hatten sie benutzt. Keine Frage, Profis eben. Was blieb, war das Warten auf den Abend.
Und der Abend kam – geht die Sonne auf, geht sie nämlich auch unter. Herr Schweitzer bat Frankfurts Schutzheiligen Bartholomäus um Beistand und machte sich auf die Socken.
Um 18 Uhr Lokalzeit mimte er wie gehabt den traurigen Trinker. Bereits zehn Minuten später parkten die Wassertrinker in Spuckweite vor dem Weinfaß und gingen hinein. Sofort verständigte er Ferdi, der wie abgesprochen in der Kladde den Anruf erwartete.
Kurz darauf saß Herr Schweitzer auf dem Beifahrersitz des Taxis, nur etwas mehr als fünfzehn Meter von der Kneipe entfernt, und warf seine Jacke auf den Rücksitz. Fast im selben Moment erschien das ruchlose Gesindel wieder auf der Bildfläche und bestieg den Kleinwagen, einen 50 PS-starken, dunkelblauen Ford Fiesta.
„Das war knapp“, sagte Herr Schweitzer, der nicht erwartet hatte, daß es so schnell gehen würde.
Die Uhr war eingeschaltet, das Taxischild abmontiert. Problemlos fädelte Ferdinand S. den Benz in den fließenden Verkehr ein. Als alter Hase und Tatort-Gucker wußte er, wie man unauffällig verfolgte. Zuerst ging’s über die Siemensstraße und die Flößerbrücke. Hinter dem Sudfaß, einer allseits beliebten Anlaufstelle Frankfurter und auswärtiger Geschäftsleute, die hier mal eben kurz bei freizügigen Damen ihren Hormonhaushalt regulierten, bog der Fiesta rechts ab und fuhr dann ständig geradeaus. Brenzlig wurde es nur einmal, als Ferdinand S. an der
Weitere Kostenlose Bücher