Tod im Jungfernturm
würde Mona Jacobsson etwas verbergen. Nur so ein Bauchgefühl, wie er es nannte. Was meinst du, Maria, paßt es dir am Vormittag?«
17
Bald würde auch dieser Arbeitstag zu Ende sein. Mona drehte eine letzte Runde durch die Station, wechselte den Alten die Windeln und die Katheterbeutel und sorgte dafür, daß sie ihre Medikamente für die Nacht nahmen. Ossian wanderte im Flur mit seinem Rollator auf und ab und murmelte in stillem Dialog mit seinen Stimmen. Der Rücken war krumm und schmerzte von den unsichtbaren Bürden, die er sein ganzes erwachsenes Leben lang getragen hatte. Und er würde noch viele Stunden umherwandern, bis er dann gegen vier Uhr morgens in einen erschöpften Schlaf fiel.
Mona streichelte ihm im Vorbeigehen rasch die Wange. Im Moment ist meine Welt vielleicht genauso verrückt wie seine, dachte sie und strich sich das Haar aus der Stirn. Sie spürte ihre eigene Bürde, das Gewicht der Schuld im Körper.
In Zimmer 12 lagen Margit und Svea. Svea war, seit Mona denken konnte, Gemeindeschwester von Eksta gewesen. Deshalb nahm sie sich einige Privilegien heraus, so verließ sie das Bett zum Beispiel nicht, wenn nicht der Doktor auf seiner Visite das angeordnet hatte. Sie war unglaublich wählerisch mit dem Essen und war der entschiedenen Ansicht, daß sie Wasser in keiner Form vertragen würde.
Es war grausam zu sehen, was die Zeit aus dieser warmherzigen und klugen Frau gemacht hatte. Wie sie sich von Monas vertrauter Freundin und Stütze in schweren Zeiten in eine zickige und nörgelnde Alte verwandelt hatte. Sie hatte auf ihre alten Tage Asthma bekommen und war mehr oder weniger zu dieser Krankheit geworden. Der Sommervertretung stellte sie sich als »Asthma« vor. In der letzten Zeit war sie immer seniler geworden, und damit hatte sich das Band ihrer Zunge gelöst. Vieles, was die Schweigepflicht zurückgehalten hatte, kam nach und nach zutage. Eine unselige Mischung aus religiösen Ermahnungen, Stoffen aus Seifenopern und Dingen, die in der Vergangenheit geschehen waren, rann in einem nie versiegenden Strom über ihre Lippen.
Svea hatte angefangen, Andeutungen über das Kind zu machen, den Jungen, den Mona als Fünfzehnjährige bekommen hatte. Denn es ist uns ein Kind geboren. Uns zum Heil ein Sohn gegeben, konnte sie sagen und Mona vielsagend zunicken. Das war unangenehm, aber trotzdem war es unmöglich, ihr deshalb zu grollen. Wo wäre Mona mit ihrem neugeborenen Kind geendet, wenn Svea nicht gewesen wäre? Die Brust, die schmerzte. Das Blut, das sich nicht stillen lassen wollte. Die vorwurfsvollen Augen des Jungen. Arne hatte unablässig geschrieen. Die Milch hatte nicht gereicht.
Sie taugte nicht als Mutter. Er schrie so, daß er knallrot im Gesicht wurde, und strampelte dazu mit seinen kleinen verschwitzten Füßen. Um ihn zu bestrafen, ließ sie ihn in seiner Kacke liegen. Das war so eklig. Sie konnte sehen, daß er sie haßte. Er glotzte sie mit seinen zornigen kleinen Augen an, schrie, um sie zu provozieren, war rot vor Wut und schrumplig im Gesicht. Er war häßlich. Sie packte seine kleinen Arme ganz fest, um ihm zu zeigen, wer hier das Sagen hatte. Aber als er Anselm nachts mit seinem Schreien weckte, war es endgültig zuviel. Sieh zu, daß der Junge schweigt, sonst … verdammt noch mal! Sie hatte Arne im Garten auf und ab getragen, ihn geschaukelt und geschüttelt, bis ihr vor Müdigkeit übel war. Untauglich.
Am Ende geschah, was nicht hätte passieren dürfen. Sie schlug ihn. Er schrie, und sie schlug ihn wieder. Ohne zu begreifen. Er mußte gehorchen und sich benehmen. Svea hatte sich über die blauen Flecke gewundert, als sie zur Kontrolluntersuchung kamen, und schließlich begriffen, was da geschah. Sie hatte die junge Mutter gesehen, die ohne Hilfe von Mutter oder Großmutter den Kleinen versorgen sollte. Von Anselm, diesem Säufer und Jammerlappen, war nicht viel zu erwarten. Svea hatte selbst nie geheiratet, sie hatte für ihre Berufung gelebt. Einen Mann hatte sie nie vermißt, so etwas konnte man insgeheim erledigen, aber es gab Zeiten, da sehnte sie sich nach Kindern. Und so kam es, daß Mona für einige Monate zu Svea zog, wo die beiden Kind und Haushalt gemeinsam versorgten.
Es klingelte aus Zimmer 12, und Mona wurde aus ihren Gedanken gerissen. Als sie die Tür öffnete, wurde sie schon von Margits fröhlichem Kichern begrüßt. Der Schaum lief über den Rand des Handwaschbeckens. Margits Hände waren voller weißer Seife. Manchmal klatschte sie in die
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