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Tod im Jungfernturm

Tod im Jungfernturm

Titel: Tod im Jungfernturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
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wo der Geist des alten Jacobsson im schwarzen Rahmen vor der blaugestreiften Tapete schwebte. Wilhelms Großvater aus Martebo hatte keine freundlichen Augen. Er wirkte streng und eindrucksvoll in dem langen Gehrock und der weißen Hemdbrust. Der Blick in den tiefliegenden Augen war eisblau. Man sagte, er habe einen seine Lehrlinge so geschlagen, daß dieser auf dem einen Ohr das Gehör verloren habe. Angeblich hatte er tausend Kronen bezahlt, damit die Sache aus der Welt sei. Wenn man in diese Augen sah, kam einem das nicht unwahrscheinlich vor. Aber der Lohn der Sünde ist der Tod. Ein paar Jahre später war er vom Pferd gefallen und hatte sich den Hals gebrochen.

    Svea erwachte und fröstelte. Es gab irgend etwas, woran sie sich erinnern wollte, aber sie war so müde. Ihr Gedächtnis war zersplittert wie zerbrochenes Glas. Irgend etwas war in dem trüben See verlorengegangen, der vor der Krankheit kristallklar gewesen war. Ihre Finger zupften unaufhörlich an der Decke, um einen Halt zu finden. Da war etwas, woran sie sich erinnern sollte, eine Gefahr. Im Zimmer gab es ein Gefühl des Bösen, und es war sehr kalt. Die Tür öffnete sich. Die Lampe über ihrem Bett wurde eingeschaltet, und jemand drehte sie grob auf die Seite. Eine Hand wurde in ihre Unterhose geschoben, sie spürte den knisternden, tastenden Plastikhandschuh am Hintern und kniff die Augen zusammen. Es war so erniedrigend.
    »Holst du ein trockenes Nachthemd?« Schritte, die auf den Flur hinausgingen und wieder zurückkamen. Schnelle Finger knöpften ihr Nachthemd auf. Man wird behandelt wie in einem Bordell, dachte Svea. Hände konnten so unterschiedlich sein. Ehe sie hier gelandet war, hatte sie nie darüber nachgedacht, welch eine deutliche Sprache Hände sprachen. Diese hier sagten: »Ich habe es eilig, du bist nur ein Arbeitsschritt, pißnasse Kleider sind eklig.« Und dann gab es andere Hände, zu denen gehörte manchmal sogar eine Stimme, die sagte: »Ist es gut so auf der Seite?« Da antwortete sie dann auch. Andere Hände hatten es gar nicht eilig, die konnte einen leicht berühren, über den Arm streicheln.
    Jetzt ging die Lampe wieder aus. Die Schritte verschwanden. Sie machten die Tür zu! Sie wollte nicht, daß die Tür geschlossen wurde, schaffte es aber nicht, nach ihnen zu klingeln. Sie konnte sich schon vorstellen, was die über sie dachten, das war nicht weiter schwer. Die Sprache, die über die Haut vermittelt wird, lügt nicht.
    Svea sank zurück und ließ die schwarzweißen Bilder des Traumes weiterlaufen. Sie war wieder in Martebo. Das Ticken der Uhr erfüllte den Raum. Ganz langsam wanderten die Zeiger auf den Morgen zu, Sekunde für Sekunde, Minute für Minute im Warten auf den Tod. Sie konnte das Licht der Morgendämmerung im Grau der Nacht ahnen. Oskar Jacobsson atmete rasselnd. Das Haar lag in verschwitzten braunen Strähnen auf dem Kissen. Das Licht flammte noch einmal auf und erlosch. Sie zündete eine neue Kerze an und steckte sie auf den Messingleuchter, der auf dem Sekretär stand. Die Dunkelheit fiel in die tiefen Falten seines Gesichts, das Licht spielte auf seiner vom Schweiß glänzenden Stirn. Svea zog die Decke etwas enger um die Beine. Sie hatte seine Hand gehalten, bis ihr Arm einschlief und die Schulter weh tat, dann hatte sie sich seinem Griff entzogen. Seine Atmung setzte aus, und sie zählte die Sekunden. Dann holte er rasselnd Luft. Er atmete schnell, und sie merkte, daß ihre eigene Atmung in denselben Rhythmus einfiel. Atemzug für Atemzug wurde sie immer schneller. Dann schlug er die Augen auf und sah sie an und durch sie hindurch. Sie feuchtete eine Kompresse an und führte sie an seine ausgetrockneten Lippen, aber er wandte den Kopf ab. Er wollte etwas sagen. Sie legte das Ohr an seinen Mund und wappnete sich gegen die Gerüche aus seinem Innern.
    »Wilhelm …« Er holte in langen, rasselnden Zügen Luft.
    »Wo ist Wilhelm? Ich muß mit ihm … reden.« Sie stand auf, um den Jungen zu wecken, und verspürte dabei einen scharfen Schmerz in der Armbeuge. Hatte der Alte sie gekniffen? Es spannte so seltsam im Arm. Sie versuchte, die Hand wegzuziehen, aber irgend etwas hielt sie fest.
    Sie erwachte vor Schmerz in ihrem Bett im Mariagården und sah, wie die Nadel aus der Ader gezogen wurde. Sie folgte den Knöpfen an dem weißen Kittel hinauf bis zu dem wohlbekannten Gesicht, das völlig frei in der Zeit schwebte.
    »Arbeitest du hier?« wollte sie sagen, aber der Satz schaffte es nicht über ihre

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