Tod im Jungfernturm
blonder Junge mit einem jüngeren Bruder im Schlepptau lächelte ihn zahnlos an. Arne zeigte müde auf einen Saal, der etwas weiter hinten vom Flur abging.
»Könnten Sie uns vielleicht etwas von den Funden erzählen? Die Jungen interessieren sich so sehr für das Mittelalter und die Silberschätze. Jetzt faßt ihr aber nichts an!« rief die Frau, die sicher die Großmutter der Jungen war. Ihr Mann kam in gehörigem Abstand von der Verantwortung und den Kindern angeschlendert.
»Ich will das Skelett sehen!« rief einer der Jungen.
»Kann man hier zum Ritter geschlagen werden?« fragte sein kleiner Bruder und zog Arne am Hosenbein. Nie und nimmer, hätte er gern gesagt, aber er schwieg natürlich. Das war nicht der richtige Zeitpunkt zu diskutieren, welche Aufgaben im Rahmen seiner Stellenbeschreibung lagen und welche nicht.
»Nein, aber wart ihr schon im Kapitelhausgarten? Da ist es wirklich nett. Viele Handwerksleute führen ihre Arbeiten vor. Man kann ausprobieren, wie man Knöpfe gießt, Wolle spinnt und Münzen prägt. Dann kann man von Botulf selbst zum Ritter geschlagen werden.« Arne versuchte begeistert zu klingen, doch die Stimme gehorchte ihm nicht, und am Ende klang es mehr wie eine Drohung.
»Da waren wir gestern. Rasmus hat einen ganzen Tisch Gläser kaputtgemacht. Er hatte sein Holzschwert dabei«, erklärte die ältere Frau, die jetzt schnell kam und ängstlich nach den Kindern sah. »Haben Sie gesehen, wo sie hin sind?«
»Vielleicht besuchen Sie am besten das ›Fenomenal‹. Das ist ein naturwissenschaftliches Erlebniscenter, wo man verschiedene technische Erfindungen ausprobieren und physikalische Experimente machen kann. Einmal quer über den Hof, dann mit dem Aufzug nach oben in den ersten Stock.« Er wünschte sich sehnlichst, daß sie auf diesen Vorschlag eingehen möge.
»Könnten Sie den Jungen nicht eine Lektion in mittelalterlichem Leben und Lebenswandel erteilen?« Der ältere Mann blieb direkt vor Arne stehen, und zwar viel zu nah, als daß es angenehm gewesen wäre. Nun wartete er auf eine Antwort. Alles, was Arne Folhammar durch den Kopf ging, war unpassend. Also antwortete er mit Ja, obwohl er sie am liebsten auf den Mond geschickt hätte. Als er genauer nachdachte, stellte er fest, daß er seit gestern nachmittag weder gegessen noch getrunken hatte. Er entschuldigte sich mit dem dringenden Bedürfnis, eine Toilette aufzusuchen.
»Wir warten hier auf Sie. Ich sehe es als meine Aufgabe an, den Kindern die Kultur und Bildung zu vermitteln, die ihre Eltern ihnen mitzugeben versäumen. Als ich ein Kind war, haben wir gelernt zu gehorchen …«
Arne wollte nicht mehr hören. Schnell öffnete er das nächste Fenster und ließ sich den Regen aufs Gesicht fallen. Wie konnte er Birgitta nur dazu bringen, über das zu schweigen, was er getan hatte? Bestimmt würde sie es bei nächster Gelegenheit ihren Eltern, Freundinnen und Olov erzählen. Deshalb hatte er den Ersatzschlüssel zur Toilette geholt und aufgeschlossen. Danach hatte er von außen zugesperrt und beide Schlüssel in der Hand behalten. Er wußte, daß sie enge Räume haßte, aber was konnte er denn tun? Zumindest hatte sie Wasser und Zugang zur Toilette. Zum Glück gab es kein Fenster da drin, es war auch nicht sonderlich hellhörig, und sie war nicht aufgewacht. Mittags mußte er nach Hause. Er wußte noch nicht, was er ihr sagen sollte, aber er mußte sie dazu bringen zu schweigen.
»Ist Ihnen bewußt, daß der Fußboden naß wird?« sagte eine gebieterische Stimme. Und da stand er wieder, der blöde Alte. Er konnte ihm nicht entkommen. Irgend etwas in der Stimme des Mannes machte Arne Angst und brachte ihn dazu, sich zusammenzureißen und mit ihm in die Schatzkammer zu gehen. Die Jungen standen bereits da und drückten ihre Nasen an dem Glas platt, hinter dem der Silberschatz von Mannegårde in Lye lag.
»Dieser Schatz stammt aus dem Mittelalter. Er enthält 2600 gotländische Münzen«, sagte Arne.
»Woher weiß man, daß sie gotländisch sind?« fragte einer der Jungen.
»Man hat eine Sorte gefunden, die man Brakteat oder Hohlpfennig nennt. Das ist eine dünne Silberplatte mit dem Buchstaben ›W‹ für ›Wisby‹ auf einer Seite. Dann hat man eine Sorte doppelseitiger Münzen gefunden, die wie das Siegel von Gotland auf der einen Seite das Gotteslamm tragen und auf der anderen ein Liliengewächs. Auf Gotland hat man über 600 Silberschätze gefunden. Der größte ist der Schatz von Dune, es ist sogar der größte
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