Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod im Jungfernturm

Tod im Jungfernturm

Titel: Tod im Jungfernturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
Vom Netzwerk:
Hunde, und in den Lüftungsklappen schlängelten sich Schlangen, leise, leise, so daß nur er sie hören konnte. Im Bett von Wilhelm und Mutter durfte er keine Zuflucht suchen, nicht einmal, wenn er wegen seiner nächtlichen Alpträume einnäßte.
    So hatte er aus Trotz an diesem elternfreien Abend das Unerhörte getan. Er hatte gelauscht, wie sich die Schritte der Erwachsenen über den Schotter entfernten. Dann war er zum Fenster geschlichen und hatte gesehen, wie sie über den Hof verschwanden. Und er hatte noch eine Ewigkeit gewartet, bis er die Klinke zum verbotenen Büro probiert hatte. Die Tür war nicht abgeschlossen gewesen. Er machte das Licht an und stellte verwundert fest, daß das Zimmer aussah wie ein ganz normales Zimmer. Es gab eine braungestreifte Tapete, einen braunen, verfilzten Teppich und einen Kristalleuchter mit verstaubten Glassteinen. Es roch ungewohnt, später würde er den Geruch mit Mottenkugeln und Kampfer verbinden.
    Mitten im Raum standen ein großer Schreibtisch und ein Ledersessel. In der einen Ecke befand sich ein Geldschrank, in der anderen eine messingbeschlagene Kiste. Die ganze lange Wand war von einem riesigen Bücherregal bedeckt. Er hatte noch nie so viele Papiere und Ordner gesehen. Ein Bild von Oscar II. mit seiner Familie in einem goldenen Rahmen beherrschte das Zimmer. An der Wand hinter dem Schreibtisch hing ein eingerahmtes Diplom, doch er konnte den Text nicht lesen. Auf dem Tisch stand eine kleine Kanone aus Bronze, und er konnte es sich nicht verkneifen, sie hochzunehmen. Die Kanone wog schwer in der Hand.
    In diesem Augenblick entdeckte er den Schlüssel. Seine neugierigen Finger probierten, ob er in die Schreibtischschublade paßte. Die mittlere ließ sich herausziehen, wenn er beide Hände zur Hilfe nahm. Er packte den Griff, zog mit aller Kraft und fiel mit der Schublade im Arm nach hinten. Geld! Berge von Geld. Sie waren reich! Nie wieder würde Mama um Geld für ein Kleid betteln müssen. Vielleicht würden sie einen Fernseher kaufen können, dachte Arne. Dann würde er dicht bei Mona im Dunkeln sitzen und das Kinderprogramm gucken. Sie würden belegte Brote essen und aus einer Thermoskanne Kaffee trinken, und er würde Schokolade bekommen. Und Mona würde den Arm um ihn legen.
    Arne hatte das Geld in die Luft geworfen, so daß es über seinen Kopf regnete, er hatte es wieder und wieder hochgeworfen und gesehen, wie es in fröhlichen Schwüngen niedersank. Sie waren reich. Alle würden froh sein. Er war viel zu beschäftigt gewesen, um die Schritte zu hören, und er merkte nichts, bis sich die Eisenfaust um seinen Nacken schloß. Wilhelm war nach Hause gekommen, um ein Musiklexikon zu holen, weil er Henrik und den anderen beweisen wollte, daß Sten Broman in seiner Quizsendung einen Fehler gemacht hatte. Was dann im einzelnen geschah, daran konnte sich Arne kaum mehr erinnern, außer an das Erstaunen und den Schreck, als er Wilhelms verzerrtes Gesicht sah, und an den Schmerz. »Ich bring dich um, wenn du jemandem davon erzählst.« Daran hatte er keine Sekunde gezweifelt. Noch als erwachsener Mann spürte Arne Folhammar, wie sich sein Körper allein durch die Erinnerung zum Schutz vor den Schlägen verkrampfte.
    Als Wilhelm an jenem Abend eingeschlafen war, hatte Mona den Jungen ins Krankenhaus gebracht. Er erfuhr niemals, was sie das, abgesehen von dem Verlust des Sorgerechts für den Sohn, gekostet hatte.
    Arne warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war zehn vor zwei, und Birgitta war immer noch nicht da. Die Scheibe, hinter der er stand, war beschlagen. Die Sorge um sie machte ihn rasend. Wenn sie ihn verlassen wollte, dann konnte sie es ihm sagen. Es fiel ihm nicht schwer, sich Birgitta und Olov zusammen vorzustellen, das hatte er schon früher getan. Hatte ihre knappen Beschreibungen der gemeinsamen Zeit mit Olov durch eigene Phantasien ergänzt. Wie sie sich auszog und ihn scharf machte, ansehen, aber nicht anfassen. Er vermutete, daß ihr das einen Kick gab. Sie spielte mit ihm bis zur äußersten Grenze, um dann völliges Desinteresse zu zeigen. Das war eine fixe Idee, die ihr Vega in Klinten eingeredet hatte. Wer war denn heutzutage bei seiner Hochzeit noch unberührt? Wenn Arne gezweifelt hatte, hatte sie seine Hand genommen und ihn spüren lassen, daß sie noch intakt war. Das war ohne Frage ein Machtmittel.
    Hätte ihm irgend jemand noch vor einem Jahr gesagt, daß er heiraten würde, dann hätte er das für undenkbar gehalten. Ja, er hätte es

Weitere Kostenlose Bücher