Tod im Jungfernturm
gemacht.«
Er lachte trocken. »Was hast du mit dem Schürhaken gemacht? Hast du ihn ins Meer geworfen, wie ich dich gebeten habe?«
Mona wagte nicht, ihm in die Augen zu sehen.
»Was hast du damit gemacht?«
»Ich habe ihn in die Werkzeugkiste unter dem Sattel von Anselms Fahrrad gelegt.«
»Was sagst du, verdammt noch mal? Wie unglaublich dumm! Hast du wenigstens deine Fingerabdrücke abgewischt?«
»Glaube ich nicht. Was soll ich denn machen? Das Fahrrad stand im Schuppen, und jetzt fährt einer der Polizisten damit herum. Sie werden den Schürhaken finden. Ich weiß, daß sie ihn finden werden. Wäre es nicht am besten, gleich zu sagen, wie es war? Ich kann nicht mehr. Sie werden mich mit ihren Fragen nie in Ruhe lassen.« Mona sank auf dem Bett zusammen und weinte. »Man kann genausogut gleich aufgeben. Man kann nicht alles verbergen. Das macht es nur schlimmer.«
»Jetzt reiß dich zusammen, verdammt!« Sie sah in sein versteinertes, weißes Gesicht. Die Adern auf der Stirn, die anschwollen, wenn er sich aufregte. Die Augen mit den großen, schwarzen Pupillen. Fest packte er ihr Handgelenk. »Ich bringe dich um, wenn du redest.«
Mona stockte der Atem, und sie rang nach Luft. Er griff sie unter dem Kinn. »Ich bringe dich um.« Sein Blick bohrte sich in ihren und forderte eine Antwort.
»Ich werde nichts sagen«, flüsterte sie.
»Gut. Ich werde versuchen, das mit dem Schürhaken in Ordnung zu bringen. Du hörst von mir.«
Sie hatte ihn in den Arm nehmen wollen, um zu sehen, wie seine Züge weich wurden. Aber sie traute sich nicht. Es hätte auch sein können, daß er sie als Antwort auf ihre Zärtlichkeitsbezeugungen geschlagen hätte. Sie sah, wie er die Tür hinter sich zuzog. Einen kurzen Augenblick lang war es so, als wäre er nie gekommen. Mona blieb regungslos auf dem Bett sitzen, während die Nacht sich herabsenkte. Unfähig, etwas zu tun, horchte sie auf das eintönige Surren der Klimaanlage und ihre eigenen Atemzüge und ließ den Blick langsam über das Zimmer schweifen, als ihr die Tüte mit Sveas Kleidern ins Auge fiel. Sie schüttete den Inhalt aufs Bett. Ein schwarzes Synthetikkleid, ein dunkelblaues Kostüm mit einer Spitzenbluse, die einmal weiß gewesen war, ein dicker Wintermantel, ein Brillenetui und eine kleine Tasche mit Toilettenartikeln. Das war alles, was von einem ganzen Menschenleben übrig geblieben war.
Svea war zuerst aus ihrem Haus in eine kleine Wohnung von vierundzwanzig Quadratmetern gezogen, dann in das Krankenhaus, wo alles, was sie besessen hatte, in einen schmalen Schrank und eine Nachttischschublade passen mußte. Mona strich mit der Hand über den blauen Blazer und den kleinen mit Perlstich verzierten Kragen. An diesen Stoff hatte sie ihren Kopf gelegt und geweint, vor Sorge und Ohnmacht geweint, als man ihr Arne weggenommen hatte. So wie sie geweint hatte, als Olov über Nacht im Erdkeller eingesperrt gewesen war. Und auch als Christoffer vor Erschöpfung auf der Vortreppe ohnmächtig geworden war, weil er die Arbeit eines erwachsenen Mannes hatte verrichten müssen. Svea war dagewesen. Sie wollte sie dazu bringen, auszubrechen und die Kinder mitzunehmen. Aber zu einem solchen Entschluß hatte die Kraft nie gereicht. Die Angst vor dem Alleinsein war so viel größer gewesen. Die Angst vor der Begegnung mit den Behörden und ihren Formularen, die Erniedrigung, nicht wie die anderen Leute rechnen zu können. Nein, lieber schwieg sie und nahm das Leben, wie es war.
Was waren das für Geheimnisse, von denen Svea geflüstert hatte? Für ihren Bruch der Schweigepflicht war sie mit dem Tod bestraft worden. Hatte sie noch mehr Geheimnisse gehabt? Mona nahm den Wollmantel und hielt ihn hoch. An den Ellenbogen war der Stoff blankgescheuert, so daß das weinrote Futter durchschien. Der Saum an der Unterkante war auffällig dick und von Hand genäht. Es knisterte leicht, als Mona ihn zusammendrückte. Irgend etwas war in den Saum eingenäht. Vielleicht Geld? Wenn das ganze Dasein auf die Größe einer Packpapiertüte zusammenschrumpft, ist einem vielleicht noch mehr daran gelegen, die letzten Besitztümer gut zu verstecken.
Mona holte das Rasiermesser und fing an, die Naht aufzutrennen, in der Hoffnung, daß es Geld sein würde. Doch mußte sie enttäuscht feststellen, daß es sich um Zeitungspapier handelte, vergilbtes und brüchiges Zeitungspapier mit Stockflecken. Vorsichtig entrollte sie die erste Seite der »Gotlands Allehanda« vom 1. April 1921. Die Hälfte der
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