Tod im Jungfernturm
Als Olov klein war, hatte Wilhelm keine Zeit für ihn und seine Fragen. Mit Christoffer war es anders, den hat Wilhelm überallhin mitgenommen, damit ein Mann aus ihm würde. Er ist ja der Älteste und sollte den Hof übernehmen. Aber ansonsten war Wilhelm ein guter Arbeiter. Man soll ja über Tote nicht schlecht reden. Er war ein Mann, der zu seinem Wort stand. Ein Versprechen war ein Versprechen, und ein Handschlag war ein Handschlag. Aber Humor hatte er wirklich nicht.«
Henrik goß noch einmal nach. »In der letzten Zeit ist Olov immer schwermütiger geworden. Früher, als er noch mit Birgitta zusammen war, ging es ihm besser, da kam er oft nach Hause. Birgitta konnte gut mit Wilhelm umgehen. Sie brachte ihn sogar zum Lachen. Sie bewunderte Wilhelm für das, was er wußte und konnte, und ich glaube, sie war wirklich beeindruckt. Sie fragte ihn bei vielen Dingen um Rat, und er hatte Ansichten über Damenkleidung, Discomusik und Fernsehstars, daß man seinen Ohren nicht traute. Ich glaube, er hat sich ein wenig in sie verguckt. Und wenn Mona eifersüchtig war, dann hat sie es mit keiner Miene gezeigt. Ich glaube, es waren Olovs Grübeleien, die am Ende dazu führten, daß Birgitta ihn verließ. Er ist Notarztwagen gefahren und hat mehr mitansehen müssen, als er vertragen hat, ungefähr so wie sein Großvater Anselm. Der Junge ist sensibler, als man meint.«
»Worüber grübelt er denn nach?« fragte Arvidsson.
»Das war alles so tief philosophisch, daß es mir schwergefallen ist mitzukommen. Ich glaube, daß er in dieser Hinsicht ein wenig enttäuscht von mir ist. Es ging um das Leben und den Tod. ›Das, wofür es sich zu leben lohnt, ist es auch wert, dafür zu Sterben‹, sagte er ohne weitere Erklärung. ›Es wäre so einfach, wenn alles einen Sinn hätte. Wenn es nichts gibt, wofür man sterben kann, dann gibt es auch nichts, wofür man leben kann. Gibt es überhaupt irgendeinen Grund zu leben?‹ Und dann immer so weiter, bis einem ganz schwindelig war. ›Vielleicht findet das Leben seinen Sinn erst im Schatten des Todes‹, sagte er auch. Mich hat das sehr beunruhigt, das versichere ich Ihnen. Und ich wußte nicht, wie ich damit umgehen sollte, und habe ihn zu einem Schnaps eingeladen.«
»Sagen Sie mal, was wir hier trinken, hat das wirklich so wenig Alkohol?« fragte Arvidsson. »Vielleicht täusche ich mich ja, aber ich fühle mich nicht mehr sonderlich nüchtern.«
»Keine Sorge. Es ist noch keiner wegen etwas Gotlandsdricka angehalten worden. Apropos Alkohol am Steuer, die Leute auf Fårö warnen einander, wenn die Polizei auf der Fähre ist. Das ist eine vollkommen gesetzlose Gesellschaft, und die halten gegen die Ordnungsmacht zusammen. Hat Trygvesson noch nichts davon erzählt?«
»Nein«, sagte Ek, der gerade einen einfachen Alkoholtest machte, indem er versuchte, die Zeigefinger mit geschlossenen Augen zusammenzuführen.
»Die Polizei war im Frühling auf Fårö und hat in einem Graben ein völlig demoliertes Auto gefunden. Keiner hatte etwas gesehen, keiner hatte etwas gehört, und auch der Besitzer des Wagens war ganz verständnislos, als die Polizei kam. Aber ich weiß, wie es dazu gekommen ist«, sagte Henrik und lächelte verschmitzt.
Ek, bei dem sich die Zeigefinger um ungefähr einen Zentimeter verfehlt hatten, sah um so nachdenklicher aus.
»Der Besitzer des Wagens war auf einem Fest gewesen«, fuhr Henrik fort, »und da hatte es jede Menge Gotlandsdricka gegeben. Und auf Fårö hat sie selten unter siebzehn Prozent. Die Festivitäten endeten damit, daß der Mann in den Graben fuhr, aus seinem Auto kroch und zu Fuß nach Hause ging. Aber das Auto wollte er gerne noch holen. Also setzte er sich in seinen Traktor und fuhr zum Unfallort. Er versuchte, das Auto mit den Gabeln hochzuheben, und ließ es noch mal in den Graben fallen. Er versuchte es wieder, und es ging kein bißchen besser. Da wurde er so wütend, daß er die Gabeln so hoch wie möglich fuhr und sie dann auf das Autodach fallen ließ, bis es völlig eingedrückt war. Das machte er wieder und wieder, so wie man Kartoffeln stampft. Und in diesem Zustand fand Trygvesson dann das Auto. Aber wie gesagt, niemand hatte etwas gesehen.«
»Verdammt, Arvidsson, was machen wir denn?« kicherte Ek. »Wir werden das Auto hierlassen müssen. Ich bin definitiv betrunken.«
»Ich kann Sie nach Visby fahren«, erbot sich Henrik mit einer ausladenden Gebärde.
»Nein, bitte keine Umstände«, sagte Arvidsson und tauschte einen
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