Tod im Jungfernturm
der Sterne vortäuscht,
alles, was noch nie die Welt gesehn
das bindest du dir zu einem Trauerkranz …
– wenn die Glocken läuten, die dumpfen,
dann gehst du dahin mit deinem Reichtum
und legst dich nieder zum Schlafen.
Und so war es gekommen. Wilhelm hatte ihr gesagt, daß es Zeit sei zu gehen. Noch nicht, aber bald. Am liebsten wäre ihm gewesen, wenn sie das Geheimnis mit Olov geteilt hätte. Doch erst mußten sich Vater und Sohn versöhnen. Das war, was er sich vom Leben ersehnte, ehe die Flamme ausgeblasen würde. Jetzt war es zu spät. Birgitta hatte mit Olov gesprochen und ihm erzählt, daß sein Vater am Ende gut von ihm gesprochen hatte. Aber Olov hatte nicht verzeihen können, nicht einmal im Tod. Deshalb hatte sie ihm nicht die ganze Wahrheit erzählt, über den Schatz hatte sie kein Wort verloren. Olov war in seinem Zorn und seiner Unversöhnlichkeit nicht geeignet, eingeweiht zu werden.
Warum ging sie so ein Risiko ein? Warum besudelte sie ihre Hände mit schwarzem Silber? Sie wußte es, aber es war keine schöne Wahrheit. Sie wollte es allein schaffen. Auf eigenen Beinen stehen und erfolgreich sein. Ihr Vater war in die feinen Salons gelassen worden. Birgitta war zurückgewiesen worden. So war es. Ihr ganzes Leben lang war sie an Luxus gewöhnt gewesen. Sie konnte nicht ahnen, wie schwer es für jemanden, der immer alles gehabt hatte, war, sich am Rande des Existenzminimums durchzubringen. Es war undenkbar, den Vater um Geld zu bitten. So war ihr Wilhelms Angebot wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen.
Birgitta schnitt das gewalzte Stück mit der Metallschere in Armreifen mittlerer Länge und lötete sie zusammen. Die Stille klingelte in ihren Ohren. Sie schaltete das Radio im selben Moment ein, als ein Auto auf dem Kies vorfuhr. Zu spät, um noch reagieren zu können, bemerkte sie die leisen Schritte auf den Steinplatten. Als sie sich umdrehte, stand er direkt hinter ihr.
»Es war offen«, sagte er.
»Hast du mich erschreckt, Arne.«
»Das wollte ich nicht.« Er hob die Hand, um sie zu berühren, überlegte es sich aber anders, als er ihren Gesichtsausdruck sah.
»Ich arbeite.«
»Ich weiß.« Er ging zur Vitrine und spielte mit einem Löffelstempel. Sie merkte, wie ihr Ärger wuchs und die Kopfschmerzen zurückkehrten. Sie konnte seinen traurigen Blick und die geduckte Haltung nicht mehr ertragen. Sie hatte keine Zeit für ihn. Er nahm die Brautkrone herunter, sagte aber nichts. Drehte sie und ließ das Tageslicht im Metall und in den Steinen spielen. Was wird daraus? fragte sein ganzer Körper. Sie holte tief Luft, bot ihm mit einer Geste an, sich in den Sessel zu setzen, und ließ sich gegenüber nieder. Zwischen ihnen standen ein kleiner Tisch und ein Meer von unausgesprochenen Fragen.
»Möchtest du einen Tee?« Sie erhob sich wieder, ohne eine Antwort abzuwarten, und kam nach einer Ewigkeit mit zwei Keramiktassen zurück. Er war im Sessel zusammengesunken, setzte sich aber kerzengerade hin, als sie zurückkam. Irgendwo in dieser Bewegung entdeckte er die Kiste mit dem offenen Deckel. Abwesend nahm er die Tasse entgegen. Das, was er sah, war völlig unmöglich.
»Was ist das da?« Sie drehte sich um und erstarrte. Fand keine Antwort. Er stand auf und fiel vor der Holzkiste auf die Knie. Nahm eine Handvoll Münzen heraus. Wählte eine aus und ließ die anderen durch die Finger gleiten. Sie hörte, wie er keuchte, konnte sein Gesicht aber nicht sehen. Er drehte sich abrupt um. »Woher hast du das?«
»Das geht dich nichts an.« Sie sah, wie der Ärger in flammenden Zorn überging. Was für ein Recht hatte er, sich da einzumischen?
»Geht mich nichts an? Weißt du, was das ist?«
»Silber. Arbeitsmaterial. Meine Zukunft.«
Er stand auf, kam mit der Münze in der Hand zu ihr und hielt sie ihr mit zitternder Hand unter die Nase.
»Weißt du, was das ist? Begreifst du, was du getan hast? Du trägst die Verantwortung!«
»Rede du mir nicht von Verantwortung!«
»Diese Münze wurde von Abt Heinrich von Corvey geprägt. Er stand dem Kloster 1359 bis 1360 vor. Die Plünderung von Visby war 1361. Woher stammt dieses Silber?«
»Vom Fischereianleger in Eksta. Mehr weiß ich nicht.«
»Verdammt, was hast du getan, Birgitta! Was machen wir bloß?« Er fiel auf die Knie und lehnte seinen Kopf an ihren Bauch. Birgitta widerstand dem Reflex, ihn von sich wegzuschubsen.
35
Ein Strand, so weich wie Sandkuchenteig, hatte Vega von Sudersand auf Fårö gesagt. Da hatte sie wirklich
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