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Tod im Jungfernturm

Tod im Jungfernturm

Titel: Tod im Jungfernturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
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Samtband umwickelt. In der Hand hatte sie einen runden weißen Stein mit einer Vertiefung, in die ein Daumen paßte, ein Fossil von der Größe einer frischen Feige. Sie preßte ihn in der Hand zusammen, um ihren Körper zu zwingen, immer weiter auf das offene Grab zuzugehen. Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug, Gedanke für Gedanke.
    Mona dachte an den Stein, an den Sommertag, als Wilhelm ihn in ihre Hand gelegt hatte. Seine Stimme. Sieh mal, was ich im Wasser gefunden habe! Sie waren in der Gegend der Klippen von Digerhuvud am Strand entlanggewandert. Wilhelm war vorausgegangen, immer fünf Schritte vorneweg, an der Wasserlinie. Sie selbst hatte den Picknickkorb getragen. Der Griff hatte ihr in die Hand eingeschnitten.
    Der Sonnenuntergang mit seinen intensiven Farben vor den dunkelblauen Wassermassen war so gewaltig gewesen. Kalksteinstatuen, von der Natur selbst geschaffen, standen wie schwarze Silhouetten im Abendlicht. Der Wind ging ein wenig, meinte sie sich zu erinnern. Er hatte sich ihr fast zärtlich zugewandt, hatte ihr den Korb aus der Hand genommen und abgestellt. Augen zu und Hand auf, hatte er gesagt und den Stein in ihre Hand gelegt. Du kriegst ihn zur Erinnerung an diesen Tag.
    Zur Erinnerung an den Tag, an dem es eine Wärme zwischen ihnen gegeben hatte, trug Mona den Stein in ihrer Hand, um Abschied zu nehmen. Aber als sie vorn am Sarg stand, sah sie ein, wie unmöglich ihr Vorhaben war. Sie konnte keinen Stein auf den Sarg werfen, nicht, wenn nur sie selbst wußte, was das bedeutete. Die anderen würden erschrecken und sich wundern. Als sie am Grab standen, konnte sie den Stein nicht länger festhalten. Er brannte in der Handfläche. Viel zu lange schon hatte er gescheuert und gerieben. Birgitta stand neben ihr. Sie sah blaß und hohläugig aus in ihren schwarzen Kleidern, das Gesicht geschwollen wie nach einer tränenreichen Nacht. Vielleicht war sie die einzige, die Wilhelm wirklich gemocht hatte. Mona verspürte die Blicke der anderen, sie warteten darauf, daß sie ihre Rose ins Grab werfen würde. Sie öffnete Birgittas Hand und begegnete ihrem fragenden Blick, als sie die Finger des Mädchens um den Stein schloß.
    »Von Wilhelm«, flüsterte Mona und trat wieder einen Schritt vor. Sie schwankte ein wenig, als sie in die Tiefe schaute, und warf dann ihre rote Blume hinunter.
    Als die anderen zu Kaffee und Kuchen ins Gemeindehaus hinübergegangen waren, öffnete Birgitta ihre Hand. Das Licht fiel auf das feinmaschige Netz fast symmetrischer Flecken, das den Stein bedeckte. Die runde Form mit der Versenkung, in der man ausruhen konnte. Der vorhersehbare Kreis, von einer weichen Linie durchbrochen. Ein Schaudern durchzog ihren Körper. Das war die Form, die sie gesucht hatte. Die perfekte Form für einen Schmuck.

    Mona Jacobsson hob ihre Tasche selbst aus dem Kofferraum des Taxis und ging über den Hofplatz zum Wohnhaus. Die Katzen liefen ihr zur Begrüßung entgegen und hinterließen weiße Haarsträhnen auf dem schwarzen Kleid. Es war schön, nach Hause zu kommen. Aber es war trotzdem noch nicht alles vorüber, es erwarteten sie noch mehrere Gespräche mit der Polizei. Doch sie hatten nichts gefunden. Sie war nicht angeklagt. Noch nicht.
    Sie spürte das Fieber in ihrem Körper brennen, es war fast berauschend. Es hatte sie schon immer erstaunt, wenn Menschen sagten, es würde ihnen vom Fieber schlecht gehen, sie bekämen Kopf- und Gliederschmerzen davon. Mona empfand eine Art Euphorie, den sanften Genuß gedämpfter Wahrnehmung. Auf der psychiatrisch-geriatrischen Station war es ein ständiger Anlaß für Diskussionen, ob man Fieber mit Medikamenten unterdrücken sollte oder nicht. Mona hatte noch nie begriffen, wo das Problem lag. Warum sollte man jemand anders einen solchen Genuß verwehren?
    Die Infektion im Bein pochte, aber sie spürte den Schmerz nicht mehr. Nicht einmal das schlechte Gewissen Anselm gegenüber plagte sie noch. Sie hatte ihn bei der Beerdigung nicht dabeihaben wollen, wollte seine Art nicht ertragen müssen, wo sie nicht einmal wußte, ob sie sich selbst im Griff haben würde. Außerdem war er immer noch sauer auf sie, seit dem Gespräch über den Pflegeplan, in dem die Sozialberaterin ihm mitgeteilt hatte, daß er im Krankenhaus bleiben müsse. Mona war sich selbstsüchtig und gemein vorgekommen. Und doch wußte sie in ihrem Innersten, daß er angefangen hatte, sich dort wohlzufühlen. Aber natürlich würde er lieber Rattengift nehmen, als so etwas zuzugeben.

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