Tod im Koog - Hinterm-Deich-Krimi
Richtung dänische Grenze voll mit Urlauberfahrzeugen
war und selbst auf der Bundesstraße bis Leck viel Verkehr herrschte.
Hildegard Oehlerich schien sie erwartet zu haben. Der Volvo rollte
noch, als sie schon um die Hausecke bog. Erneut war sie indianisch gekleidet.
Ein gesticktes Stirnband hielt die langen schwarzen Haare zusammen, der Poncho,
den sie trug, hatte einen ähnlichen Schnitt wie der bei ihrem Besuch in Husum.
Unter dem Überhang mit den bunten Motiven lugte eine Leinenhose hervor, aus der
die nackten Füße herausragten. Sie ging barfuß und verschränkte die Hände vor
der Brust, als sie mit einer leichten Verbeugung die beiden Polizisten
begrüßte.
»Willkommen.«
Dann ging sie um das Haus herum zurück und führte die Beamten in den
Garten. Christoph war nicht überrascht, als er sah, wie groß das Anwesen war.
In diesem Teil des Landes hatte man viel Platz. Da wurde nicht mit
Quadratmetern gegeizt. Die Anlage war mit Büschen und Knicks umstanden. Und
dort, wo man hindurchsehen konnte, öffnete sich die Weite der Marsch. Das
Plätzchen war ohne jeden Zweifel idyllisch. Dazu trug auch die Gartengestaltung
bei. Auf den ersten Blick sah es ungepflegt aus. Aber bei genauerem Hinsehen
erkannte man, dass durchaus eine ordnende Hand in dieses naturbelassene Stück
Land hegend eingriff.
Die Frau hatte Christophs Rundblick bemerkt. »Kommen Sie«, forderte
sie die beiden Beamten auf und führte sie durch den Garten. Catori, wie sie
sich selbst nannte, erklärte die Büsche und Kräuter, die sie angebaut hatte.
Manche Küchenkräuter waren Christoph bekannt, andere hingegen hätte er nicht
zuordnen können. Unter den Pflanzen fand sich fast alles, was er schon einmal
gehört hatte. Darunter zahlreiche Heilkräuter. Christoph musste sich
eingestehen, dass ihm diese nur als Arzneimittel in aufbereiteter Form bekannt
waren.
Hildegard Oehlerich sprühte vor Begeisterung. Mit glänzenden Augen
gab sie ihr Wissen zum Besten. »Es ist schade, dass die Kenntnisse, die unsere
Großmütter noch hatten, weitgehend verloren gegangen sind«, sagte sie. »Das ist
hier meine Speisekammer. Da gibt es Dinge, die die Natur mir schenkt und dich
mich täglich ernähren, die Sie gar nicht sehen.«
Christoph musste sich eingestehen, dass sie ein wenig zu voreilig
über diese Frau gelacht hatten. Sicher lebte sie anders. Aber dafür hatte sie
einen Blick für die uns umgebende Welt, der den meisten Menschen, ihn
eingeschlossen, verloren gegangen war.
»Das ist schön hier«, sagte er.
Große Jäger zeigte auf eine Feuerstelle in einer Ecke des Gartens.
»Sehr lauschig. Und da finden zünftige Grillpartys statt.«
»Ich esse nichts, was Augen hat«, erwiderte Hildegard Oehlerich mit
fester Stimme, in der ein leiser Vorwurf mitschwang.
»Also auch keine Kartoffeln. Die haben auch manchmal Augen.«
Frau Oehlerich schenkte Große Jäger nicht einmal einen Seitenblick
für diese Anmerkung. »Da haben wir eine Schwitzhütte gebaut. Ich erspare mir
aber, Ihnen zu erläutern, was das ist«, fügte sie mit einem kurzen Nicken in
Richtung des Oberkommissars an.
Christoph spürte, dass die Frau verärgert war über die launigen
Kommentare seines Kollegen. Er zeigte auf einen Steinhaufen. Von dort gingen
vier Steinreihen, die wie Speichen aussahen, zu einem ebenfalls aus Steinen
gebildeten konzentrischen Kreis.
»Das hat sicher auch eine Symbolik?«, fragte er.
»Das ist ein Medizinrad. Davon gibt es mehrere Zehntausend in
Nordamerika und Kanada. Manche Forscher schätzen es auf über fünftausend Jahre.
Von jeher ist es ein Ort, an dem eine besondere Energie die Menschen erfasst.
Ein Platz der Kraft und Magie. Sehen Sie!« Hildegard Oehlerich zeigte auf das Gebilde.
»In den Speichen und in jedem Abschnitt des äußeren Kreises wiederholt sich die
Zahl Vier. Das ist eine heilige Zahl bei den Indianern. Wir haben vier
Himmelsrichtungen, vier Elemente, vier Jahreszeiten … Für uns Menschen
bedeutet es Harmonie, Gleichgewicht, Verbundenheit und Vollkommenheit. Es ist
ein Spiegel unserer Seele und zeigt uns die Verbundenheit und das Gleichgewicht
allen Lebens, der aktiven und rezeptiven Energien.«
»Und was heißt das?«, fragte Große Jäger.
»Die Energien durchfließen die Natur auf diese zwei Weisen. Sie
haben einen Bezug zu den Elementen Feuer und Luft, Wasser und Erde.«
»Das habe ich nicht verstanden«, murrte der Oberkommissar.
»Dazu benötigen Sie viele Jahre und einen weisen Lehrer«, antwortete
Catori.
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