Tod im Koog - Hinterm-Deich-Krimi
Präsenz abspalten. Durch eine schamanische Reise werden die
abgespaltenen Teile wieder zurückgeholt und integriert, um das volle Potenzial
zu erreichen.«
»Das heißt, durch die Ermordung hat sich Heikes Seele gespalten, und
Sie haben sie wieder zusammengefügt. Ist sie jetzt in einen anderen Körper
geschlüpft?«
Christoph sah zur Seite, weil der ihm gegenübersitzende Große Jäger
Grimassen zog und flüsterte: »Jetzt haben wir die Ursache der Schizophrenie
entdeckt. In einen gesunden Körper ist eine zweite Seele gefahren.«
»Suchen Sie den Mörder«, sagte Catori, und es klang abschließend,
»es ist jemand aus Heikes Nähe, ein Mensch, den sie kannte und dem sie
vertraute. Mir ist wichtig, dass Heikes Seele zur Ruhe kommt und in Frieden an
dem Ort verweilt, von dem sie einst in einer anderen körperlichen Hülle
zurückkehren wird. Weiter kann ich Ihnen nicht helfen. Ich wünsche Ihnen Kraft
und Frieden.« Dann legte sie auf.
»Das ist wirklich wie in einem Wildwestfilm. Da sind die Roten auch
auf dem Kriegspfad gewesen, bis sie den Mörder ihres Stammesbruders eingefangen
haben.« Der Oberkommissar lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der
Brust. »Wir müssen uns nur noch in Geduld üben und warten.« Er zeigte auf die
Zimmerwand. »Dort hängen wir Fotos der potenziellen Verdächtigen hin. Die
lassen wir allmonatlich antreten. Und wenn irgendwann einer mit Glatze
erscheint, dann ist er der Mörder, weil er seinen Skalp verloren hat. So
einfach ist Polizeiarbeit.«
»Lass uns noch einmal die Protokolle durchgehen«, schlug Christoph
vor.
»Fang schon mal an«, erwiderte Große Jäger, griff seinen Becher und
verließ den Raum. Christoph ahnte, dass er zu Hilke Hauck gehen würde, um dort
einen Kaffee zu schnorren.
Der Oberkommissar blieb überraschend lange fort. Christoph bemerkte
die Zeitspanne erst, als sich sein Computer meldete und eine Nachricht von der
Kriminaltechnik aus Kiel eintraf. Er überflog sie, stutzte, begann von Neuem
und murmelte halblaut vor sich hin: »Das kann nicht wahr sein.« Dann griff er
zum Telefonhörer, rief bei Hilke an und bat sie, Große Jäger zurückzuschicken.
Kurz darauf trottete der Oberkommissar herein. »Fühlst du dich
einsam? Brauchst du meine Unterstützung? Oder war das einfach nur die Mahnung
des Vorgesetzten, dass ich mich wieder an meinen Schreibtisch begeben soll?«
»Hier!«, sagte Christoph und zeigte auf seinen Bildschirm.
»Das ist nicht wahr!«, wiederholte Große Jäger fast wörtlich
Christophs überraschte Äußerung, und seine Stimme drückte das gleiche Erstaunen
aus, das Christoph erfasst hatte, als er die Meldung gelesen hatte.
»Dann wollen wir mal«, entschied der Oberkommissar, stellte seinen
Kaffeebecher auf dem vor Papierbergen überquellenden Schreibtisch ab und war
schon an der Tür, bevor Christoph aufstehen konnte.
Auf der Poggenburgstraße herrschte reger Verkehr,
zumindest für Husumer Verhältnisse. An der Ampel stauten sich mehrere
Fahrzeuge, die entweder geradeaus oder nach links unter die Bahnunterführung
abbiegen wollten. Wie häufig um diese Jahreszeit war es eine bunte Mischung aus
einheimischen und fremden Kennzeichen.
Nach rechts bogen in dieser Ampelphase nur die beiden Beamten ab,
wenn auch als Fußgänger. Es waren nur etwa fünfhundert Meter bis zu jenem
modernen Gebäude am Husumer Binnenhafen, dessen Architektur Christoph nicht
zusagte.
Sie hatten Glück. Ihr Gesprächspartner war anwesend. Bürgermeister
Kirchner empfing sie in seinem Büro mit Blick auf die malerische Kulisse der
Schiffbrücke. Bei diesem Wetter nahm der Platz am Binnenhafen es mit jeder
südländischen Piazza auf. Alle Stühle der Außengastronomie, sei es vor der
Eisdiele, dem Biergarten oder den zahlreichen Traditionsgaststätten, waren
besetzt. Auf dem schmalen Durchgang zwischen den Tischen und der Häuserreihe
schoben sich Menschenmassen entlang, verharrten vor einem der Geschäfte, in
denen es Kitsch und Kunst gab, hielten Ausschau nach einem Plätzchen oder
gerieten ganz einfach in einen Stau. Vor den wenigen Parkplätzen kurvten Autos
und warteten geduldig auf eine freie Lücke.
Es war Ebbe, und das ganze Hafenbecken bestand, mit Ausnahme des
dünnen Rinnsals, das von der Husumer Au gespeist wurde, die hier in den Hafen
mündete, nur aus Schlick. Auch die »Nordertor«, ein ehemaliges Passagierschiff,
das früher auf der Förde verkehrt hatte und heute als Restaurantschiff ein
beliebter Anlaufpunkt war, lag auf
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