Tod im Moseltal
gewesen, eigene Wege zu gehen. Jeder in seinem Beruf, jeder mit eigenen, teilweise neuen Bekannten. Waren häufiger getrennt ausgegangen als zusammen.
Angefangen hatte das etwa zwei Jahre nach ihrer Heirat. Nora war gerade drei geworden, Mattis war seit dem Sommer in der Schule. Sie hing in ihrer Promotion fest, und natürlich musste zu dieser Zeit immer einer zu Hause bei den Kindern bleiben. Aber nach mehr als einem halben Jahrzehnt häuslichen Familienlebens hatte es sie, genauso wie Tom, wieder in die Stadt gezogen. Er wollte mehr ins Kino oder in Kneipen. Sie hatte Theater, aber auch Spaziergänge an der Mosel oder in der Eifel im Kopf. Am Anfang war das auch kein Problem gewesen, jeder genoss die Stunden ohne die Kinder, genoss die Gelegenheit, sich wieder ein Stück sich selbst zu nähern. Und es war dann auch richtig schön gewesen, abends wieder nach Hause zu kommen.
Im Jahr zuvor hatte Thomas für die Firma die ersten Geschäftsverbindungen in die USA aufgebaut, und es war allen klar gewesen, dass damit auch längere Auslandsaufenthalte verbunden waren. Später kamen dann noch die Saudis und Algerien hinzu. Sie hatte das anfangs genauso spannend gefunden wie Thomas, aber mit der Zeit waren die Reisen für sie zu einem Problem geworden. Spätestens als sie vor drei Jahren ihre Promotion abgeschlossen hatte, fühlte sie sich beruflich am Zug. Doch der schien zunächst für sie abgefahren zu sein, und sie hatte ihrem Mann die Rolle des Lokomotivführers zugeschoben. Aber mittlerweile hatte sie sich mit der Halbtagsstelle an der Uni und ihrer gutachterlichen Tätigkeit als Kinderpsychologin wieder ihren eigenständigen Bereich erarbeitet. Zusammen mit den Kindern war das zwar stressig, aber für ihr Selbstwertgefühl Balsam. Ihr Familienleben beschränkte sich jedoch nur noch auf gemeinsame Unternehmungen mit den Kindern. Der Rest ihrer Zweisamkeit war der Routine des Alltags gewichen.
Die engen Kurven zur ehemaligen Arbeitersiedlung der Domäne Avelsbach rissen Marie aus ihren Gedanken. Unbewusst straffte sie sich und schaute nach vorn. Sie konnte im Rückspiegel sehen, wie Gerhardts sie trotz der schmalen Straße beobachtete. Als sich ihre gespiegelten Blicke trafen, lächelte er leicht, und auch wenn ihr danach eigentlich nicht zumute war, musste sie dieses wohlgemeinte Lächeln kurz erwidern.
»Am besten parken Sie wieder direkt bei unserem Schuppen, obwohl wir heute hoffentlich nicht noch einmal heimlich flüchten müssen.«
Gerhardts musste jetzt breit grinsen und bog zügig in den Stichweg zum Haus ein. »Tja, Frau Steyn, manchmal ist es ganz gut, sich ein paar Kniffe der Ganoven abzuschauen, zum Beispiel wie man seinen Verfolgern entkommt. Aber die Schreiberlinge haben es uns gestern auch ziemlich leicht gemacht.«
Nachdem sie ausgestiegen waren, sah Marie, dass sich das Absperrband an einem Ende gelöst hatte und nun heftig im Wind flatterte. Gerhardts bemerkte es auch und ging hinüber, um es wieder festzubinden. An der Haustür blickte Marie zunächst auf das Siegel, das über der Türfuge klebte, und dann zu Buhle. Der schob sich an ihr vorbei und trennte das Papier des Siegels mit dem Fingernagel durch.
»Bevor wir das Haus noch mal von oben bis unten durchschauen, versprechen Sie mir bitte, dass Sie nichts anfassen, ohne dass ich Ihnen das erlaube, und dass Sie bitte kein Zimmer zuerst betreten. Es kann gut sein, dass wir auf neue Spuren stoßen, die erst kriminaltechnisch untersucht werden müssen.«
»Und bitte ziehen Sie sich diese Handschuhe an.« Gerhardts hielt Marie Handschuhe der Spurensicherung hin, reichte Buhle ein Paar und zog sich selbst welche über.
Marie nickte. »Okay. Erzählen Sie mir dann auch etwas von den alten Spuren, die meinen Mann angeblich schon überführt haben?«
Buhle war schon durch den kurzen Vorraum gegangen, und seine Hand verharrte einen Moment auf der Klinke der Glastür, die als Windfang diente. Er drehte sich kurz zu Marie um. Seine blauen Augen versprühten diesmal nicht diese unnahbare Kühle, sondern blickten sie fast mitleidig an.
»Sie können mir glauben, dass ich es sehr schätzen würde, wenn wir in diesem Fall gut kooperieren. Doch ich kann Ihnen keine Untersuchungsergebnisse mitteilen, solange ich nicht weiß, welche Bedeutung sie für den Fall haben. Das leuchtet Ihnen sicherlich ein. Ich werde aber jeden Hinweis aufnehmen, der Ihren Mann entlasten könnte.«
Gerhardts hatte sich bereits wieder zu ihnen gesellt. Gemeinsam nahmen sie die
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