Tod im Moseltal
Treppe in den ersten Stock.
Das Wohnzimmer wirkte auf Marie kalt und fremd. Sie ließ den Blick durch den großen Raum streifen. Natürlich waren ihr alle Gegenstände darin bekannt. Thomas hatte nie viel Wert auf Einrichtung gelegt und hatte das meiste ihr überlassen. Nur auf diese protzige Bücherwand hatte er von Anfang an bestanden, obwohl er sie mit seinen Büchern nur zur Hälfte ausfüllen konnte. Aber nun nahm sie alles wie durch einen transparenten Vorhang wahr.
Der große Kaminofen in der Ecke schien am Wochenende in Betrieb gewesen zu sein. Jedenfalls war die Scheibe deutlich verrußt, wie immer, wenn Thomas Feuer machte. Der Weidenkorb daneben war allerdings noch gut mit Holzscheiten gefüllt. Offenbar hatten ihr Mann und sein Besuch nur kurz eine Wärmequelle benötigt. Der Gedanke, dass Thomas vielleicht hier auf ihrem Sofa mit dieser Frau heißen Sex gehabt hatte, ließ Marie schaudern. Wie lange war es her, dass sie beide sich geliebt hatten? Sie wusste es nicht mehr.
»Hat mein Mann hier mit …« Marie sprach nicht weiter, aber Christian Buhle wusste offenbar auch so, was sie wissen wollte, und nickte. »Und wo noch?«
»Die Spuren deuten darauf hin, dass Ihr Mann auch im Gästezimmer mit der Toten sexuell verkehrte. Und nur in diesen beiden Zimmern scheinen überhaupt Spuren zu sein, die der Toten zuzuordnen sind. Aber die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen.«
Marie presste ihre fein geschwungenen Lippen aufeinander und richtete sich auf. »Ich kann nicht feststellen, dass sich hier etwas Wesentliches verändert hat, seit ich mit den Kindern nach Metz aufgebrochen bin. Die Scheibe vom Kaminofen war allerdings sauber und der Holzkorb fast leer. Und die Decke war zusammengelegt. In welches Zimmer sollen wir als Nächstes gehen?«
Die beiden Kommissare bewegten sich nicht. Gerhardts überließ seinem Chef das Wort. »Frau Steyn, wir sollten uns Zeit lassen. Jeder Hinweis, jede Nebensächlichkeit könnte uns weiterbringen.«
Marie nickte und schaute noch mal langsam in die Runde, ging am Bücherregal entlang, streifte mit ihrem Blick die Bildbände Nordafrikas, die Fotoalben ihrer Familie, für die sie vor der Promotion noch Zeit gehabt hatte, ihre Pokale von verschiedenen Karatemeisterschaften als Jugendliche. Plötzlich hielt sie inne.
»Ein Bild fehlt. Das Foto von Thomas und mir aus unserem ersten Urlaub. Ich bin mir sicher, dass es noch da stand, als ich hier kurz vor unserer Abreise geputzt habe.«
»War auf dem Bild etwas Besonderes zu sehen?« Buhle war jetzt deutlich wachsamer.
»Es ist mein Lieblingsbild von uns beiden. Es zeigt uns auf der Terrasse unseres Hotels mit den Bergen im Hintergrund. Tom hatte den Selbstauslöser aktiviert, und ich wollte eigentlich kein gestelltes Bild machen. Aber kurz bevor der Apparat auslöste, hat Tom mich rumgewirbelt und mich geküsst.« Marie lächelte kurz. »Das Bild ist für mich ein Überbleibsel aus der Zeit, in der mein Mann vor Überraschungen nur so sprühte und mich mit allerlei Unfug zum Lachen brachte. Jetzt macht er das wenigstens noch mit den Kindern.«
Sie schaute die Polizisten traurig an. Christian Buhle hielt dem Blick nachdenklich stand, Gerhardts hingegen sah zu Boden. »Haben Sie das Foto gefunden?«
Buhle ging wortlos zu einer der unteren Schubladen der Regalwand und zog sie auf. Das Bild lag zwar auf der Vorderseite, aber den Rahmen erkannte sie sofort. »Es tut mir wirklich leid, aber Ihr Mann schien seinen Besuch mit einer klaren Absicht erwartet zu haben. Offensichtlich wollte er dazu den Blick gerade auf dieses Bild vermeiden. Auch wenn es Sie wenig trösten dürfte: Es scheint also auch für ihn noch eine besondere Bedeutung zu haben. Gehen wir in die Küche?«
Marie folgte dem Kommissar wortlos. Erst als sie im Küchenbereich angelangt waren, versuchte sie sich wieder auf mögliche Veränderungen zu konzentrierten. »Die Messer im Messerblock fehlen. Aber die haben Sie wahrscheinlich mitgenommen.«
Diesmal antwortete Gerhardts. »Wir können nicht ausschließen, dass sich unter den Messern die Tatwaffe befindet. Die diesbezüglichen Untersuchungsergebnisse dürften schon bei den Kollegen der Spurensicherung vorliegen.«
Marie wunderte sich über diese übervorsichtige Ausdrucksweise. »Darf ich die Schränke aufmachen?« Die Kommissare bejahten es. »Es fehlen Gläser, und zwar zwei Sekt- und zwei Rotweingläser.« Sie öffnete die Spülmaschine. »Ich hatte vor der Abreise den Kindern noch Brote
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