Tod im Moseltal
wäre nah genug bei Nora und Mattis, um ihnen beizustehen. Der Gedanke, dass sie für die Zeit besser auch in das Haus der Schwiegereltern einziehen sollte, führte dazu, dass sie einen Stein auf der Straße so fest wegkickte, dass er in einem Bogen und mit einem erheblichen Knall gegen einen parkenden Toyota prallte. Vorsichtig schaute sie zu den umliegenden Mietshäusern, ob jemand etwas bemerkt hatte. Zum Glück rührte sich nichts an den Türen und Fenstern, und sie schritt zügig weiter.
Einen Stein einfach wegschießen war sicher keine Lösung, auch wenn sie das mit ihrem Mann gerne ebenso gemacht hätte. Dieser Idiot, wie hatte er sich nur auf so etwas einlassen können? Sie verharrte innerlich. Nein, verwerflich war nur, dass er diesen Seitensprung geplant hatte. Der Mord selbst war … Sie wusste es nicht einzuordnen. Immer noch nicht mochte sie glauben, dass ihr Mann zu so einer Tat fähig sein sollte. Aber was war stattdessen geschehen? Es war unbegreiflich.
Sie hatte das Chemische Untersuchungsamt passiert und bog in die Kurfürstenstraße ein. Bei dem Gedanken an Thomas stieg Bitterkeit in ihr auf. So fühlt man sich also, wenn man verraten und betrogen wird. Sie schüttelte lange den Kopf, und ein Passant, der ihr auf dem Bürgersteig entgegenkam, betrachtete sie im Vorübergehen merklich irritiert. Sie musste sich entscheiden. Entweder glaubte sie an Thomas’ Unschuld, dann musste sie auch für ihn kämpfen, für ihn und die Kinder. Oder sie gab ihn auf und damit auch das Leben hier in Trier. Sie hatte sich an der Uni und als Gutachterin ausreichend damit beschäftigt, welche Auswirkungen verschiedene Schlüsselerlebnisse auf Kinder haben konnten: Tod, Scheidung, Gewalt in der Familie. Kinder eines Mörders hatte sie noch nicht als Klienten oder Patienten gehabt. Sie mochte sich aber auch nicht ausmalen, wie das wäre.
Es gab eigentlich nur eine Alternative zur Katastrophe: Tom durfte nicht der Mörder sein.
Marie musste gut zwanzig Schritte zurücklaufen, weil sie an dem gusseisernen Gartentor von Peters Garten vorbeigegangen war. Entschlossen stieg sie die Treppe zu dem in den Hang gebauten Gebäude aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinauf. Peter hatte es von einer entfernten Tante geerbt, die kein so beschränktes Weltbild gehabt hatte wie der Rest seiner Familie. Für ihn war es ein Glücksfall gewesen, weil er mit einem Schlag unabhängig war von seinen Eltern und in Trier weit weg von zu Hause sein Leben leben konnte. Marie nahm ihren Schlüsselbund und schloss die Haustür auf. Peter hatte sie schon aus dem Fenster hinaufkommen sehen und öffnete ihr die Wohnungstür.
»Du bist früh zurück«, stellte er fest, nachdem er sie zur Begrüßung kurz in die Arme genommen hatte. »Habt ihr etwas Neues feststellen können?«
Marie hängte ihre Jacke an einen freien Haken der Garderobe und schüttelte den Kopf. »Nein. Die Kripo rückt auch nicht mit Informationen raus. Laufendes Verfahren.« Bei den letzten beiden Wörtern zeichnete sie mit den Fingern Anführungsstriche in die Luft. »Er scheint aber sein Rendezvous mit dieser Schulfreundin richtig geplant zu haben.« Sie schüttelte wieder den Kopf, doch diesmal vor Empörung. »Er hat mein Lieblingsbild von uns, du weißt, das aus dem Urlaub in Italien, in einer Schublade versteckt, damit er da nicht draufschauen muss, wenn er sie … vögelt.« Ihre Augen blitzten wütend auf. »Was denkt sich ein Mann dabei, wenn er seine Frau so hintergeht?«
»Da fragst du den Falschen. Was willst du jetzt tun?«
»Ich werde die Kinder morgen oder übermorgen aus Metz abholen und zu meiner Schwiegermutter bringen.«
Sie sah, wie Peter die Augenbrauen hob.
»Ja, ich weiß, ich muss mich dann auch mit Philipp auseinandersetzen, aber Juliette wird bestimmt helfen. Für ihre Enkel tut sie alles.« Marie verstummte für einen Moment. »Und dann werde ich die Unschuld meines Mannes beweisen müssen.« Sie schaute zu ihrem Freund auf, der sie aus seinen samtweichen Augen anblickte.
»Das wird dir auch gelingen. Ich weiß, dass Thomas kein Mörder ist.«
Für diese beiden Sätze wurde Peter Kasper fast erdrückt.
Das musste natürlich sein, dachte Marie, als ihr Schwiegervater sich am anderen Ende der Leitung meldete. Sie versuchte trotz aller Distanz, die sich in den Jahren zwischen ihnen aufgebaut hatte, freundlich zu klingen. »Hallo, Philipp, wie … ähm, ist Juliette vielleicht zu sprechen?«
Philipp von Steyn hatte offenbar nicht vor,
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