Tod im Moseltal
Nach den Kleidern hätte es das spätere Opfer sein können. Ein Schichtarbeiter meinte, Steyns Auto gegen halb fünf vor dem Haus stehen gesehen zu haben, war sich aber auf Nachfrage nicht mehr sicher. Ein Rentner behauptete, kurz vor dem Einschlafen einen Schuss gehört zu haben, und die meisten älteren Nachbarn hatten sowieso gewusst, dass Thomas Steyn nichts taugte, ganz anders war als sein Vater, obwohl der ja als Unternehmer gar nicht so richtig in die alte Arbeitersiedlung gepasst hatte.
Im Großen und Ganzen waren es viele Spuren, die sie hatten. Wenn dann noch die Ergebnisse der DNA-Analyse die Verdachtsmomente erhärteten, sah es für Thomas Steyn nicht gut aus.
Buhle dachte über die Vorbehalte von Gerhardts und Reuter nach. Einige Ungereimtheiten gab es wirklich, sie ließen sich aber irgendwie erklären. Schwerwiegender war der Eindruck, den ihr Hauptverdächtiger hinterließ. Da hatten die beiden recht: Steyn verhielt sich ganz und gar nicht wie ein Mörder. Sie mussten ihn dringend noch einmal verhören, aber zunächst galt es den Polizeipräsidenten zufriedenzustellen. Doch da sie bereits einen Hauptverdächtigen hatten, würde das leicht sein.
*
Marie ging den Fußweg hinter den Häusern der Domänenstraße entlang. Sie waren nur eine gute Stunde in ihrem Haus gewesen; um diese Zeit war noch nicht viel los im Stadtteil Alt-Kürenz, und im Schutz der geschlossenen Häuserzeile war es entsprechend ruhig. Die morgendliche Luft hatte sich bislang nur wenig aufgewärmt, aber es war trocken, und die Wolkendecke schien aufzureißen. Die herbstlichen Gärten lagen ruhig und verlassen da, nur hinter einzelnen Fenstern brannte schon Licht. Marie erschrak, als wenige Meter vor ihr ein Yorkshireterrier an der Leine einer alten Frau zu bellen anfing. Empört sah die Frau sie an, als ob sie die Schuld für den Wutanfall des Kläffers trage. Wortlos drückten sie sich auf dem engen Weg aneinander vorbei.
Seit sie aus dem Auto der Kriminalbeamten gestiegen war, hatte sich ihrer ein bisher unbekanntes Gefühl bemächtigt. In ihr schien sich alles zusammenzuziehen, und gleichzeitig drohte sie zu platzen. Ihr Kopf war voll von den ganzen Eindrücken und Gedanken, zugleich stieg eine nie erfahrene Leere in ihr auf. Sie erschrak ein zweites Mal, als eine Amsel in dem noch frischen Laub raschelte. Sie musste jetzt nachdenken, durfte sich nicht hängen lassen. Zu viel stand auf dem Spiel. Sie überlegte, ob sie Thomas besuchen sollte, verwarf aber den Gedanken gleich wieder. Sie war viel zu verletzt, um ihm jetzt gegenübertreten zu können. Für Thomas konnte sie momentan nicht viel mehr tun, als ihm einen Anwalt zu besorgen.
Sie versuchte erneut erfolglos die Telefonnummer ihres Anwalts. Die Kinder. Irgendjemand musste sich um sie kümmern. Mattis musste ins Gymnasium, zumindest in ein paar Tagen. Nora und die Grundschule waren da noch das geringere Problem. Aber wie sollte sie den Kindern erklären, dass ihr Vater unter Mordverdacht stand? Wie würden die anderen Kinder sich verhalten, die sehr bald davon erfahren würden? Wo sollten sie in der Zwischenzeit wohnen? Bei Peter würde das nicht gehen.
Sie musste sich eine Strategie zurechtlegen und Prioritäten setzen. Wenn ihre Situation ein Fall gewesen wäre, den sie als Psychologin zu behandeln gehabt hätte, hätte sie sich jetzt auf einem großen Blatt Papier alle Sachverhalte notiert und versucht, eine Struktur in die Problematik hineinzubringen. Aber sie wusste, das Papier würde in ihrem gegenwärtigen Zustand weiß bleiben.
Der kleine Schlosspark lag in einer perfekten Idylle vor ihr. Hier hatten sie immer Station gemacht, wenn sie zu Fuß von Avelsbach in die Stadt spaziert waren. Nora im Kinderwagen und Mattis zumeist auf dem Rollbrett dahinter. Sie kam an der kleinen, grau verwitterten und mit Flechten bewachsenen Säule vorbei, auf die Mattis jedes Mal geklettert war, um Denkmal zu spielen.
Denk nach, Marie, ermahnte sie sich. Reiß dich jetzt zusammen. Als Erstes musst du eine Lösung für die Kinder finden. Du musst es ihnen sagen, bevor sie es von anderen erfahren. Und sie dürfen nur noch zwei, drei Tage in Metz bleiben, höchstens.
Sie hatte den Park schon wieder verlassen und ging weiter entlang der Mietshäuser in Richtung Kurfürstenstraße. Es blieb eigentlich nur die Möglichkeit, dass Juliette sie für ein paar Tage in Trierweiler aufnahm. Toms Mutter würde die Situation am ehesten verstehen und konnte die Kinder versorgen. Und Marie
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