Tod im Moseltal
zwischenzeitlich durch den Essbereich zurückgekommen war. Sie hatte zumindest die letzten Worte Buhles mitbekommen und freute sich offensichtlich über die Wirkung, die von der gerade mal sechzig Zentimeter hohen Statue ausging.
»Ich habe dieses kleine Wunder in der Vulkaneifel in einem zum Atelier umgebauten Bahnhofsgebäude entdeckt. Es war bloßer Zufall. Zunächst wollte ich mir nur eine Orchideenwiese anschauen, die ganz in der Nähe war. Ohne rechten Grund bin ich dann zu dem Atelier gegangen; eigentlich war da nur eine Töpferei ausgeschildert, und davon habe ich weiß Gott schon genug an Utensilien.«
Sie zeigte zum Wintergarten, der im Kontrast zu dem fast leeren Innenraum ein grünes Paradies war.
»Neben der Töpferei war noch ein kleiner Anbau, und als ich durch dessen Fenster schaute, sah ich eine Frau in meinem Alter, die gerade dabei war, diese Basaltfigur zu polieren. Sie schaute hoch, wir blickten uns an, und es dauerte unendlich erscheinende dreißig Sekunden, bis wir beide wussten, dass sie diese Figur nur für mich gemacht hatte. Es gab da gar keinen Zweifel. Wir vereinbarten, dass ich nach zehn Tagen wiederkommen sollte, um die Figur abzuholen. Wir hatten keinen Vertrag, keinen Preis ausgehandelt, sie hatte noch nicht einmal meinen Namen. Als ich zum vereinbarten Termin kam, war das Haus verschlossen. Ich rief, aber niemand meldete sich. Ich schaute durch das Fenster und stellte erleichtert fest, dass mein Mädchen noch dastand. Dann hörte ich im Ort die Glocken läuten und habe noch nie vorher eine solche Traurigkeit empfunden wie in diesem Augenblick.«
Sie betrachtete die Figur fast mitfühlend, fuhr dann aber sofort mit ihrer sanften Stimme fort. »Ich fuhr die fast zwei Kilometer im Schneckentempo. Als ich am Friedhof angekommen war, setzte sich der kleine Trauerzug gerade zum Grab in Bewegung. Ich folgte ihm und nahm Abschied von einer Frau, die ich nur einmal vorher gesehen hatte, zu der ich aber eine innere Verbindung spürte wie zu kaum einem anderen Menschen in meinem Leben. Als ich nach der Beerdigung mit dem Töpferpaar zurück zum Bahnhof fuhr, erzählten sie mir, dass Pauline mir einen Brief geschrieben habe, der neben der Statue liege. Mehr nicht. Sie ließen mich in die kleine Werkstatt. Der Brief war kurz; Pauline entschuldigte sich dafür, dass sie nicht warten konnte, aber sie würde nun in Frieden gehen können, da sie wusste, dass ihre kleine Juliette bei mir ein Zuhause finden würde. Juliette, ich konnte es in dem Moment nicht glauben. Später habe ich erfahren, dass Juliette ihre Tochter war, die bereits als Jugendliche verunglückt ist. Pauline selbst litt im Endstadium an Krebs.«
Es herrschte tiefe Stille in dem Zimmer, bis auf der Treppe die schweren Schritte von Philipp von Steyn zu ihnen drangen. Die Bestimmtheit, mit der er die Tür öffnete und eintrat, ließ die zuvor andächtige Stimmung wie von einer Sturmböe erfasst verwehen.
»Das sind also die Herren Kommissare, die meinen Sohn verhaftet haben und nun mit gezielten Indiskretionen Stimmung gegen unsere Familie machen.«
Buhle, der sich in den letzten fünf Minuten nicht gerührt hatte, drehte sich langsam um. Nach einem kurzen Moment, der spürbar machte, wie sich die Atmosphäre in ein und demselben Zimmer wegen einer einzigen hinzugekommenen Person augenblicklich wandeln konnte, sagte er tonlos:
»Guten Tag. Ich nehme an, Sie sind Herr von Steyn. Das ist Kriminalhauptkommissar Gerhardts, mein Name ist Buhle. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würden wir uns gerne sachlich mit Ihnen und Ihrer Frau unterhalten. Es gibt eine ganze Reihe an Informationen, die wir uns von Ihnen erhoffen. Nach Ihrer Äußerung zu urteilen, haben Sie die Berichterstattung in den Medien verfolgt. Sie wissen also, dass wir noch am Anfang der Ermittlungen stehen. Dass wir Ihren Sohn in Untersuchungshaft nehmen mussten, ist den vorliegenden ihn objektiv belastenden Ergebnissen der Kriminaltechnik geschuldet. Dass die einzige Person, die mit einer ermordeten Frau im Haus angetroffen wird, der Tat verdächtigt werden kann, wird Ihnen einleuchten, auch wenn Ihnen das als Vater des Verdächtigen sicher schwerfällt. Den Vorwurf der Stimmungsmache weise ich allerdings entschieden zurück. Sie sollten uns nicht mit der Presse verwechseln.«
Buhle und von Steyn taxierten sich einen weiteren Moment, dann wies der Hausherr auf die Sofas. »Machen wir es kurz. Die hiesigen Geschäftspartner rennen mir schon fast das Haus ein. Was
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