Tod im Moseltal
Besucherstühle, daneben völlig aufgelöst ihre Schwiegermutter. Sophie Müller, seine Klassenlehrerin, stand neben Mattis und schien gerade mit ihm gesprochen zu haben. Hinter dem Schreibtisch saß regungslos der konsternierte Rektor mit einem DIN-A4 -großen roten Blatt in der Hand.
»Was ist passiert?« Bevor jemand antworten konnte, fiel Marie vor ihrem Sohn auf die Knie und zog ihn in ihre Arme.
Es dauerte eine Weile, bis sich beide wieder beruhigt hatten. Marie nahm das Taschentuch der Lehrerin entgegen und putzte sich die Nase. Mattis benutzte dafür einen Ärmel seiner Jacke. Auch Juliette von Steyn hatte sich zwischenzeitlich wieder etwas gefangen. Marie stand auf und wandte sich dem Rektor zu. Matthias Bertram hielt ihr wortlos das Blatt hin. Als sie die bedruckte Seite anschaute, zuckte sie zusammen. Über zusammenmontierten Fotos ihres Mannes und Mattis’ stand in großen, fetten Buchstaben: »Ein Mördersohn an unserer Schule«.
Marie wollte schlucken, doch ihre Zunge blieb am ausgetrockneten Gaumen hängen. Mühsam sagte sie: »Wie kommen diese Blätter an die Schule?«
Bertram zuckte ratlos mit den Schultern. »Wir wissen es nicht. Eine Lehrerin, die Pausenaufsicht hatte, bemerkte irgendwann Ihren Sohn, wie er in eine Keilerei verstrickt war. Erst da haben wir die Flugblätter entdeckt, an verschiedenen Stellen in der gesamten Schule.« Er machte eine kurze Pause und fügte dann fast hastig hinzu: »Wir haben den Hausmeister aber schon angewiesen, dass er alle Flugblätter einsammeln soll.«
Eine unbändige Wut stieg in Marie auf. Nur mit großer Anstrengung konnte sie einigermaßen ruhig bleiben. »Wissen Sie, was so ein Pamphlet bei meinem Sohn anrichten kann? Meinen Sie, dass es damit erledigt ist, dass diese Lügen aus dem Verkehr gezogen werden? Wie viele Kinder haben das hier schon gesehen?«
»Nun, ich denke mal, nicht so viele. Wir haben es ja relativ schnell entdeckt und sofort gehandelt.«
Die Klassenlehrerin, die mittlerweile mit verschränkten Armen vor dem Fenster des großzügigen Büros stand, blickte fast so düster drein wie Marie. »Ich denke, die halbe Schule dürfte die Flugblätter gesehen oder zumindest davon gehört haben. Ich habe sogar schon einige Eltern mit diesem Ding in der Hand gesehen. Herr Bertram, wir dürfen uns nichts vormachen, die Sache ist in der Schule rum.«
Das gequälte Gesicht des Rektors schien Mattis’ Klassenlehrerin nicht zu beeindrucken. Marie wusste, dass Sophie Müller in der Schule häufig aneckte, und schätzte sie deswegen umso mehr. »Was machen wir jetzt?«, fragte sie in ihre Richtung.
»Ich glaube, Mattis sollte jetzt mit in die Klasse kommen. Das ist hart, zeigt aber Stärke, die von den Kindern eher respektiert wird, als wenn er jetzt nach Hause gehen würde.« Sophie Müller hockte sich wieder neben Mattis. »Du weißt, dass das jetzt sehr schwierig werden kann. Packst du das, wenn ich dabei bin?«
Mattis knetete seine Lippen eine Weile und nickte dann bestimmt.
Sophie Müller lächelte ihn an.
»Du lässt dich nicht unterkriegen. Super.« An Marie gewandt sagte sie: »Ist das in Ihrem Sinne, Frau Steyn? Sollen wir es so machen?«
»Wenn Mattis das so will, ist das okay. Ich bin stolz auf dich, mein Großer.« Das war sie wirklich. »Mattis, ich muss jetzt noch ein paar Dinge regeln. Ich bleibe aber in der Stadt. Juliette, hast du dein Handy dabei?«
»Ja, ja, ich glaub schon, ich muss suchen.« Juliette von Steyn wühlte kurz in ihrer Handtasche und zog dann ein einfaches Handy hervor. »Hier ist es.«
»Gut.« Marie reichte es ihrem Sohn. »Mattis, wenn irgendwas sein sollte, melde dich sofort bei Frau Müller, ja? Und wenn ich dich vorher doch abholen soll, ist das kein Problem, dann ruf mich einfach an. Weißt du meine Handynummer?« Mattis verneinte. »Juliette, ist die Nummer eingespeichert?«
»Ja, unter ›Marie‹.«
Es klopfte an der Seitentür zum Sekretariat. Zögerlich trat Hubert Klein, der Hausmeister, durch die Tür. Fast ängstlich schaute er in die Runde, bis sein Blick den Rektor traf. »Ich hab versucht, alle Zettel einzusammeln, Herr Bertram. Aber ich befürchte, es sind immer noch welche im Umlauf. Ich habe sie den Kindern sogar aus der Hosentasche herausgezogen, aber ein paar dürften sie schon weggesteckt haben.«
Matthias Bertram schwieg, und es entstand eine kurze, quälende Pause. Schließlich ergriff Sophie Müller das Wort.
»Ist schon gut, Hubert. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Hast du
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