Tod im Moseltal
konnte nicht realisieren, was seit Sonntag auf sie hereingestürzt war.
Sie musste aber. Wenn sie es jetzt nicht schaffen würde, für alle ihr nahestehenden Menschen das Richtige zu tun, würde sie ihren ganzen Lebensentwurf verwerfen müssen. Noch mehr, als sie es in den vergangenen zehn Jahren ohnehin schon getan hatte. Würde sie Trier verlassen müssen, sich vorrangig und allein um die Kinder kümmern, alles Gewesene hinter sich lassen? Vielleicht würde das nicht einmal reichen. Was war geschehen, dass das alles passieren konnte?
Ihr wurde es plötzlich zu heiß unter der Daunendecke, und sie schob ihre Beine in die kühle Luft des Schlafzimmers. Wenn Thomas der Mörder war, wäre das eine Katastrophe. Was aber, wenn jemand anders das alles inszeniert hatte? Was für einen Anlass konnte es für einen Menschen geben, so weit zu gehen? Und wer war der Adressat dieses Handelns: wirklich Thomas? Oder war Thomas nur der Anfang? War das Ziel eines Wahnsinnigen vielleicht die ganze Familie von Steyn, vielleicht sie selbst?
Marie schaffte es nur mit Mühe bis zur Toilette. Als sie nichts mehr im Magen hatte, erhob sie sich mühsam. Peter stand in seinem grau-blau karierten Shorty und den gewalkten Hausschuhen bewegungslos hinter ihr. Sie ignorierte das Handtuch, das er ihr hinhielt. Als sie sich wieder aus seinen Armen löste und zu ihm hinaufschaute, murmelte sie leise: »Entschuldige, aber es kam so über mich.«
Peters Gesichtsausdruck wechselte von sorgenvoller Traurigkeit zu der ihm eigenen freundlichen Milde, die Marie an ihm auf die Art liebte, die sie sonst nur Claudille gegenüber empfand.
»Nicht schlimm. Ich hatte den Schlafanzug ohnehin schon den zweiten Tag an.« Er lächelte. »Du hast ja schon lange wach gelegen. Vielleicht duschst du erst mal und erzählst mir, welch furchtbare Gedanken dich zu so früher Stunde an diesen zweifelhaften Ort getrieben haben.«
Marie erwiderte sein Lächeln etwas schief, nickte dann aber. »Machst du mir einen Milchkaffee? Ich brauch nicht lange.« Sie fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht und durch die Haare. »Ist momentan eh nicht viel zu machen.«
Zehn Minuten später saß Marie nur mit einem Rollkragenpulli ihres Gastgebers, einem Slip und Wollstrümpfen bekleidet in der warmen Küche und umklammerte die große Tasse, die Peter ihr hingeschoben hatte. Unvermittelt fragte sie: »Kann es sein, dass das alles gar nicht nur Thomas gilt?«
Das bissbereite Brötchen verharrte zusammen mit Peters Hand kurz vor seinem Zielort. Langsam legte er es auf den krümelübersäten Teller. »Sondern?«
»Seiner Arbeit, seiner Familie, unserer Familie«, sie machte eine kleine Pause, »mir?«
Peters Blick lag ruhig auf ihr. Nachdem sie zweimal an ihrem Kaffee genippt hatte, antwortete er: »Ich glaube nicht, dass es um eure kleine Familie geht. Ich bin mir fast sicher, dass es vorrangig um Thomas geht.« Er hielt kurz inne. »Hier will jemand deinen Mann öffentlich demontieren. Ich glaube, nur das kann das Ziel einer solchen Tat sein.«
»Warum?«
»Überleg mal, welche Anstrengungen der Täter unternommen haben muss, um diesen Mord zu planen und durchzuführen, damit er Thomas in die Schuhe geschoben werden kann. Wenn er ihn nur ausschalten wollte, zum Beispiel als Konkurrent im Geschäft, hätte er es sich einfacher machen können.«
Marie schluckte. »Du meinst, er hätte ihn direkt …?«
Peter nickte bedächtig. »Es scheint hier um mehr zu gehen. Welche Gründe könnte es haben, jemanden nicht nur physisch zu beseitigen, sondern sein Ansehen und seine sozialen Beziehungen regelrecht zugrunde zu richten?«
Marie betrachtete eine Zeit lang den sich auflösenden Schaum auf dem Kaffee. Als sie Peter wieder anblickte, glaubte sie die Antwort zu wissen: »Rache? … Rache wäre ein starkes Motiv, um so weit zu gehen. Aber das würde bedeuten, dass Thomas jemandem etwas sehr Schlimmes angetan hat.«
»Möglich. Oder jemand, der Thomas sehr nahe steht, hat dies gemacht.«
»Meinst du, ich … ich habe jemandem …?« In Maries fragendem Blick lagen Erschrecken und Furcht.
Peter beugte sich über den Tisch, damit er seine Hände um die von Marie legen konnte, die immer noch die Kaffeetasse umklammerten. »Eindeutig nein, du bist viel zu gut, als dass du jemandem etwas Derartiges hättest antun können.«
»Dann vielleicht Philipp?«
»Oder doch Thomas selbst. Hast du eine Ahnung, was er in letzter Zeit gemacht hat?«
Marie schüttelte den Kopf. »Nein, du weißt
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