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Tod im Moseltal

Tod im Moseltal

Titel: Tod im Moseltal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Ness
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noch immer adrenalisiert vom Erfolg des Abends. Es war ihm tatsächlich gelungen. Zum Schluss hatte er ihrem schauderhaften Charakter sogar noch Respekt zollen müssen, als sie im genau richtigen Moment zu feilschen anfing, bevor der Deal vollzogen war. Er hatte sich zunächst unnachgiebig, dann gönnerhaft gezeigt und sie damit endgültig auf seine Seite gezogen. Es wurde ein Pakt zweier Seelenverwandter geschlossen.

15
    Berdorf; Samstag, 6. November
    Marie hatte, wie immer, wenn sie mit den Kindern bei Claudille war, im ehemaligen Büro geschlafen. Sie war gerne in diesem Zimmer. Es hatte noch so etwas Altehrwürdiges vergangener geschäftlicher Zeiten. Der Sekretär, der Schreibtisch mit dem damals obligatorischen Lederdrehstuhl, das Regal und der kleine Aktenbock – alles in dunklem Nussbaum gehalten. Heute war das fast wieder modern. Zumindest in den Schlafzimmerabteilungen der Möbelhäuser hatte sie farblich stark strukturierten Nussbaum wieder im Angebot gesehen. Die mächtige, ausladende Schreibtischlampe hatte sie schon immer geliebt. Vielleicht weil sie für sie das Sinnbild dafür war, dass in diesem Büro wirklich gearbeitet und nicht nur repräsentiert worden war.
    Im Nachbarzimmer, wo die Kinder schliefen, war es noch ruhig. Claudille war aber schon aufgestanden, das hatte sie gehört. Es war für alle gestern ein schöner Abend gewesen. Beim langen Spielen von »Malefiz«, »Rummikub« und zum Schluss noch »Land unter« hatten sie etwas Abstand von den Geschehnissen der letzten Woche gewonnen.
    Es war spät gewesen, als die Kinder ins Bett gingen; für tiefer gehende Gespräche hatten sie und Claudille keine Energie mehr gehabt. Nach einer halben Stunde vor dem Fernseher hatten sie sich auch schlafen gelegt.
    Marie überlegte, was sie heute machen sollte. Natürlich würden sie eine Wanderung in der Felslandschaft des Müllerthals unternehmen. Sie hatte den Kindern ihre Liebe zu dieser außergewöhnlichen Landschaft weitergeben können: kein Besuch bei ihrer Uroma, ohne dass nicht wenigstens einmal die »Teufelsinsel« aufgesucht, sich durch die »Siewenschlüff« gezwängt, in der »Totenkammer« gerastet oder in die »Räuberhöhle« hinabgestiegen wurde. Es gab noch viele, viele andere Möglichkeiten, große und kleine Landschaftswunder zu entdecken. Vielleicht sollten sie heute über die Sauer auf die deutsche Seite zum Naturparkzentrum Teufelsschlucht fahren? Sie musste nur vorher anrufen, ob dort noch geöffnet war.
    »Mamaaa!« Der Schrei ihrer Tochter riss Marie aus ihren Gedanken. Wie ein Blitz lief sie mit nackten Füßen über die kalten Fliesen des Flurs ins Nachbarzimmer. Nora stand mit weit aufgerissenen Augen und angsterfülltem Blick vor dem Bett ihres Bruders. Kissen, Bettdecke und Laken waren mit Blutflecken gesprenkelt. Zum Glück öffnete Mattis, durch den Schrei seiner Schwester geweckt, langsam die Augen und blinzelte verständnislos zu ihnen herauf. Marie hockte sich hin und nahm Nora beruhigend in den Arm.
    »Keine Angst, Schatz. Mattis hatte heute Nacht nur Nasenbluten. Das passiert manchmal und ist überhaupt nicht schlimm.«
    »Alles in Ordnung da oben?« Auch Claudille hatte Nora und anschließend Maries Schritte gehört.
    »Ja, ja, alles okay. Mattis hatte nur Nasenbluten. Es sieht ziemlich übel aus in seinem Bett.«
    »Lass mal, das machen wir später. Kommt lieber runter, ich habe schon Croissants aufgebacken.«
    »Jaaaaa!« Marie konnte ihre Tochter gerade noch am Arm festhalten.
    »Halt, hiergeblieben. Erst anziehen, dann kannst du runter. Sonst wirst du noch krank.«
    »Och Mann, blödes Anziehen.«
    Quengelig setzte Nora sich wieder aufs Bett und zog sich ihren lila Hausanzug an, während Marie mit Mattis ins Bad ging und ihm das Gesicht wusch. Als sie zurückkamen, war Nora bereits unten bei ihrer Uroma.
    Nach dem Frühstück begleitete Claudille die drei zum Adlerhorst. Auch sie liebte die »kleine Luxemburger Schweiz«, doch weiter als bis zu diesem leicht zugänglichen Felsplateau kam sie seit ein paar Jahren kaum noch. Während die Kinder über die Felsen tollten, gingen die beiden Frauen auf die hölzerne Plattform und genossen die Aussicht in Richtung Befort. Die »Michielskerk« mit ihrer charakteristischen schmalen, lang emporgezogenen Kirchturmspitze war an diesem klaren Tag deutlich zu sehen.
    Sie standen eine Zeit lang wortlos nebeneinander. Dann brach Claudille das Schweigen. »Du hast sicher auch keine Ahnung, wer mir so einen gefälschten Brief

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