Tod im Moseltal
müden Lächeln.
Zwei Minuten später kam sie mit dem Brief im Beutel zurück. »Was soll ich jetzt damit machen?«, fragte sie Claudille.
»Natürlich öffnen. Oder willst du jetzt bei jedem Brief gleich die Kriminalpolizei rufen?«
Genau das hatte Marie überlegt. Sie nickte und ließ sich von Claudille den Brieföffner geben. Ohne Fingerabdrücke auf dem Kuvert zu hinterlassen, schnitt sie es auf.
»Und, was ist drin?«
»Ein Foto.«
»Was ist darauf zu sehen?«
»Ich weiß nicht, ich kann nichts erkennen.«
»Dann lass es doch hier auf die Zeitung gleiten, dann wissen wir, welche unglaublichen Neuigkeiten wir diesmal serviert bekommen.«
Es bedurfte ein wenig Mühe, bis Marie das Foto herausgeschüttelt hatte, vielleicht war es aber auch das Ungeschick, das mit der inneren Weigerung, sich erneut etwas Schreckliches antun zu müssen, verbunden war.
Ihre Ablehnung gegen das Foto war begründet gewesen. Es zeigte Thomas Steyn beim Sex mit einem Kind.
Marie war es, als würde ihr jemand den Boden unter den Füßen wegreißen. Fühlte sich wie im freien Fall in einen endlos tiefen Abgrund. Nach einer Weile spürte sie, wie Claudille ihr sanft das Gesicht mit einem Taschentuch trocken wischte.
»Du musst jetzt etwas unternehmen, Marie! Kennst du denn keinen bei der Polizei, dem du dich anvertrauen kannst? Die müssen jetzt reagieren.«
Marie sah Claudille wie durch einen Vorhang hindurch an. Leise sagte sie: »Warum sollten sie? Für die Polizei steht Thomas doch schon als Mörder fest. Die suchen nur noch nach den letzten Beweisen. Wen interessiert da, was mit ihm und seiner Familie in der Öffentlichkeit passiert?«
»Nein, Liebes, das glaube ich nicht. Es ist jetzt so viel passiert, das können sie gar nicht einfach wegschieben. Wenn du nicht anrufst, dann rufe ich eben die Luxemburger Polizei an.«
Marie schüttelte müde den Kopf. »Das bringt doch nichts. Das ist Sache der deutschen Kripo.«
»Dann ruf jetzt dort an.«
»Es ist Sonntagmorgen. Wen soll ich denn anrufen, der uns dann auch noch helfen will?« Erst als sie den Satz beendet hatte, erinnerte sie sich an das letzte Gespräch mit Christian Buhle und den kleinen Vertrauensbeweis, den er ihr zum Schluss entgegengebracht hatte.
Aber Claudille schien gar nicht mehr hinzuhören. Sie war schon aufgestanden, hatte das Telefon geholt und hielt es Marie hin.
Marie sah ihre beste Freundin an. Da standen nun dreiundachtzig Lebensjahre in Form einer kleinen, schmal gebauten Frau vor ihr, mit schneeweißen Haaren, in einem ihrer geblümten Kleider und mit einem Gesichtsausdruck, der wie in Fels gemeißelte Entschlossenheit zeigte.
»Okay, ich muss irgendwo ein Kärtchen haben, das mir der eine Kommissar gegeben hat. Wenn ich es finde, rufe ich ihn an.« Vielleicht hatte Claudille tatsächlich recht, und sie brauchten Hilfe. Denn eines war offensichtlich: Sie wurden beobachtet. Irgendjemand wusste, wann sie wo war.
Sie hatte die Visitenkarte von Buhle in ihr Portemonnaie gesteckt, das wusste sie zum Glück noch genau. Zwischen dem üblichen Wirrwarr aus Geldscheinen, irgendwelchen Karten und alten Kassenbons fand sie sie. Neben Namen, Dienstgrad, Dienststelle mit Adressdaten und dem Wappen von Rheinland-Pfalz standen die Dienstnummer mit der Durchwahl und eine Handynummer darauf. Gehörte dieser Buhle zu den Polizisten, die ihr Diensthandy auch am Wochenende eingeschaltet hatten? Sie überlegte und kam zu dem Entschluss, dass sie sich das sehr gut vorstellen konnte. Sie nahm ihr Handy und ging wieder hinunter ins Wohnzimmer. Wenn Claudille sich schon so vehement dafür eingesetzt hatte, sollte sie auch sehen, dass sie es ernsthaft bei dem Kommissar versuchen würde.
»Ich habe die Visitenkarte gefunden. Ich probiere es auf seinem Handy. Ob ich es aber bei der Kripo versuche, überlege ich mir noch.«
»Ruf doch bei ihm zu Hause an.«
»Wo soll ich seine Privatnummer herbekommen? Meinst du, die stellt ein Kommissar ins Telefonbuch?«
»Wohl kaum. Manchmal schreibt er sie aber auf die Rückseite seiner Visitenkarte.«
Marie schaute zunächst Claudille, dann die Rückseite der Karte verblüfft an. Unglaublich, wie blöd sie manchmal war. Sie versuchte dennoch zuerst die Handynummer. Bei Buhles Privatnummer anrufen wollte sie wirklich nur im Notfall.
Sie brauchte es nur dreimal klingeln zu lassen, bis er sich meldete.
»Herr Buhle? Guten Tag, Marie Steyn. Entschuldigen Sie, dass ich sonntags bei Ihnen anrufe …. Na ja, es ist mir schon ein
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