Tod im Moseltal
Elefanten am Fenster vorbeifliegen sehen, Marie Steyn hätte nicht erstaunter gucken können.
»Heute Morgen hat mich eine Frau aus Luxemburg aufgesucht, angeblich um als Zeugin in dem Mordfall auszusagen.«
In groben Zügen erzählte er Marie Steyn von dem Vorfall und den daraus resultierenden Konsequenzen. Als er anfügte, dass noch gravierender sein Besuch in Berdorf war, weil die luxemburgische Polizei davon unterrichtet worden war und das Zusammentreffen von Marie mit ihrem Mann auch eine Rolle spielte, war es ihr augenscheinlich peinlich.
»Fakt ist, ich bin jetzt nicht mehr im Dienst. Sie haben es also nur noch mit dem Privatmann Christian Buhle zu tun. Alles, was Sie mir von nun an sagen, hat für den offiziellen Fall keine Relevanz. Genauso brauchen Sie mir ab jetzt auch gar nichts mehr zu sagen. Es gibt keine rechtliche Basis mehr.«
Marie Steyn, wieder mit einer weißen Bluse und Jeans bekleidet, war seinen Worten still und, zumindest empfand er es so, auch betroffen gefolgt. Nach einer Weile schürzte sie die Lippen und sagte:
»Da spielt doch einer ein ziemlich böses Spiel mit uns.«
Mit uns. War er jetzt tatsächlich persönlich in eine Intrige hineingeraten, die eigentlich der Familie Steyn gegolten hatte? Zumindest stand außer Frage, dass die Angelegenheit auch für ihn gravierende negative Auswirkungen haben konnte.
»Ja, das scheint so. Das Problem ist allerdings, dass ich nicht weiß, in welchem Spiel wir uns überhaupt bewegen. Wenn es wirklich so ist, dass Ihr Mann diesen Mord nicht begangen hat, seine Geschichte also stimmt, wenn jemand alles so arrangiert hat, wie es sich bislang darstellt, folglich auch all diese Spuren gelegt hat, die Medien instrumentalisiert, die Aktionen mit den Flugblättern, dem Brief, dem Foto durchgeführt hat … Wenn das alles so ist, was steckt dann dahinter? Was kann jemanden dazu veranlassen, so etwas zu tun? Was gibt es, wovon wir noch überhaupt keine Ahnung haben?«
Marie Steyn schaute in Richtung der rot-schwarz melierten Wand hinter Buhle, aber ihr Blick war nicht darauf fokussiert. Dann sah sie ihn aus unendlich traurigen schwarzen Augen an. Leise sagte sie: »Ich weiß es nicht. Ich überlege auch schon die ganze Zeit, in was für eine Sache Thomas hineingeraten ist. Peter meint, es ist Rache im Spiel. Ich weiß es nicht, wirklich.«
Er empfand in diesem Moment eine tiefe Sympathie für Marie Steyn. Eine Sympathie, die nicht nur von ihrer misslichen Lage herrührte, sondern auch in der Persönlichkeit dieser zierlichen Frau begründet war. Vielleicht lag es an seiner eigenen Situation, dass er nicht mehr offizieller Ermittler in diesem Fall war und sich dadurch emotional öffnen konnte. Er konnte es nicht einordnen, war selbst zu überrascht davon, weil diese Regungen für ihn völlig neu waren. Doch wenn es etwas bedurft hätte, ihn von der Vorgehensweise, die Paul Gerhardts vor ein paar Stunden vorgeschlagen hatte, zu überzeugen: Ab diesem Moment wusste er, dass er es wagen musste.
»Frau Steyn, ich möchte ehrlich zu Ihnen sein. Wenn die ganzen ›Wenns‹, die ich eben genannt habe, zutreffen, bedeutet das, dass auch der angebliche oder tatsächliche Besuch der alten Freundin ihres Mannes eine weitreichende Bedeutung hat. Vielleicht ist Marion Reens oder Schroeder oder Spiegelrodt der Schlüssel für die Lösung des Falls. Vielleicht reicht der Grund für den Mord weit in die Vergangenheit zurück.«
Er glaubte, in Marie Steyns Augen eine kurze Erkenntnis aufleuchten zu sehen. Etwas schien ihr gerade eingefallen zu sein.
»Ich weiß nicht, ob das eine Spur ist, die zum Ziel führt. Aber es ist zumindest einen Versuch wert, zumal meine Kollegen sie wohl nicht wirklich verfolgen werden. Frau Steyn?«
Marie hatte sich aufgerichtet, und eine spontane Entschlossenheit zeigte sich in ihrem Gesicht. »Sie wollen die Marion aufsuchen, mit der mein Mann einen Großteil seiner Jugend verbracht hat?«
»Ich denke, ja. Sie wohnt derzeit in Hamburg. Das ist zwar nicht gerade um die Ecke, aber …«, Buhle verzog seinen Mund zu einem schiefen Lächeln, »… ich habe ja jetzt Zeit.«
»Wie lange brauchen Sie in Hamburg?«
»Ich nehme an, mit Reisezeit zwei Tage, wenn ich zeitnah mit Marion Reens sprechen kann.«
»Gut, nehmen Sie mich mit?«
Die Frage verblüffte ihn. Bis vor zwei Tagen hätte er über eine Antwort darauf vermutlich nicht einmal nachgedacht. Zu abwegig wäre so etwas für einen korrekten, von Pflichtbewusstsein geprägten
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