Tod im Moseltal
Kommissar bloß?
Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie aus Richtung des Hotels am Ende der Sackgasse einen Schatten auf sich zukommen. Wie hypnotisiert vermochte sie keine Faser ihres Körpers zu einer Bewegung zu überreden. Die Anspannung fiel erst von ihr ab, als der Schatten auf halbem Wege zu winken begann und Marie im selben Augenblick die Silhouette der Gestalt Buhles zuordnete.
»Mein Gott, müssen Sie mir so einen Schreck einjagen?«, zischte sie ihm entgegen.
Buhle hob entschuldigend die Hände. »Ich wollte mich nur vergewissern, dass Ihnen keiner folgt. Habe ich Sie sehr erschreckt?«
»Was meinen Sie, was das für ein Gefühl ist, wenn man gerade einem Meer tiefster Dunkelheit entronnen ist und die Rettungsinsel entpuppt sich als leere Blechbüchse. Sie hätten mich ja mal vorwarnen können.«
»Ja, das hätte ich tun sollen, entschuldigen Sie. Aber lassen Sie uns einsteigen, damit sich nicht doch noch jemand entschließt, uns zu folgen.«
Auch als sie Trier schon längst hinter sich gelassen hatten, war es Marie immer noch nicht nach Reden. Es dauerte bis hinter das Autobahndreieck Vulkaneifel, bis Buhle das Schweigen brach.
»Haben Sie heute Nacht gut geschlafen?«
Marie sah ihn erstaunt an. Mit einer persönlichen Frage hatte sie bei dem sonst so sachlichen Kriminalkommissar nicht gerechnet. Schon gar nicht nach ihrem misslungenen Reisebeginn. Sie wertete es als ein Zeichen von Entgegenkommen. Dennoch war sie immer noch etwas sauer und erwiderte: »Den Umständen entsprechend. Aber dann hat mich die Nachtwanderung mit dem anschließenden Schreckgespenst ja nachhaltig geweckt.«
Buhle löste den Blick von der Windschutzscheibe, um zu ihr zu schauen, aber weil er gleichzeitig hinter einem Lkw in eine Baustelle hineinfuhr und von hinten von einer ungeduldigen Limousine bedrängt wurde, geriet der Versuch zu einem unkoordinierten Hin-und-her-Zucken seines Kopfes. Marie musste über das Bild des verwirrten Kommissars schmunzeln.
Nach dem allmorgendlichen Stau am Kölner Ring waren sie endlich auf der A1 Richtung Norden. Marie Steyn hatte Buhle während der Fahrt Einzelheiten aus dem Leben ihres Mannes erzählt; seit einigen Minuten aber schwieg sie.
Buhle entschied sich für eine Rast. Kaffee und Croissants schmeckten in der Raststätte erstaunlich frisch und aromatisch. Er hatte gespürt, wie schwer es Marie Steyn fiel, über ihren Mann zu sprechen. Es berührte ihn, wie sehr sie trotz aller Energie und Beherrschtheit innerlich getroffen war. So unterschiedlich auch die Reaktionen waren, die Partner oder Angehörige von Tätern nach der Konfrontation mit den Verbrechen zeigten, immer ging irgendetwas in den Menschen kaputt. Bei Marie Steyn war das nicht anders.
Er betrachtete die hübsche Frau mit der schmalen Nase, dem fein geschwungenen Mund und den beiden auch im entspannten Zustand leicht angedeuteten Grübchen. Zum ersten Mal bemerkte er die ungleichen Ohrringe. Links trug sie einen silbernen Stecker mit einem Delphin, rechts pendelte ein mit Silberdraht und türkisen Perlen geflochtener Ohrhänger. Er fragte sich, warum ihm solche Details, die Frauen wirklich interessant machten, normalerweise nicht auffielen. Doch eigentlich kannte er die Antwort nur zu gut. Warum war es aber bei Marie Steyn anders?
»Das ist schon eine komische Atmosphäre hier in diesen Autobahnraststätten«, sagte sie mehr zu sich selbst. »Alles ist einfach und funktional, aber sündhaft teuer. Trotzdem sitzen die Leute hier. Und haben sie an einem anderen Ort schon mal diese einträchtige Verbundenheit von gestressten Geschäftsleuten in Anzug und Hemd mit dem unrasierten und übermüdeten Fernfahrer im verschwitzten T-Shirt erlebt? Alle sind sie rastlose Vagabunden der Straße, die hier einen Moment innehalten dürfen, ihr einsames Streunen zwischen beliebigen Ausgangspunkten und Zielorten unterbrechen. Ich glaube, die Raststätten sind für diese Menschen überlebenswichtig, nicht nur um die Fahrzeiten nicht zu überschreiten. Vielleicht sind sie so eine Art … diffuse Heimat, ein existenzieller Rückzugsort?«
Beim letzten Satz hatte sie ihn angeschaut, nachdem sich ihr Blick zuvor im weiten Rund hellbrauner Tische und Stühle verloren zu haben schien. Aber tatsächlich hatte sie diesmal beobachtet und ihre, und eigentlich war es ja auch seine, Umwelt in einer Art wahrgenommen, die ihn beeindruckte: eigentlich belanglos, aber gepaart mit einer kleinen Lebenserkenntnis.
»Meinen Sie, das ist den Männern
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