Tod im Netz: Kriminalroman (Oldenburg-Krimi) (German Edition)
dem Mantel nahm, massierte sie mit der rechten Hand ihre linke Schulterpartie. Sie merkte, dass sie völlig verspannt war. Als sie den Schlüssel in das Schloss schieben wollte, kam es ihr so vor, als wäre das Schloss ausgewechselt worden. Schließlich ließ sich die Tür dann doch öffnen. Den Schlüssel steckte sie von innen in die Tür und schloss zweimal ab. Nachdem sie ihre Jacke lustlos an der Garderobe aufgehängt hatte, betrachtete sie sich im Spiegel.
» Lisbeth, du musst mehr auf dich achten.«
Die Augen ihres Spieg elbildes bettelten förmlich um Schlaf. Die morgens dezent aufgetragene Schminke war jetzt nicht mehr zu sehen. Nur ihre Haare saßen ganz passabel. Sie fand, dass ihr eng anliegender Pullover früher nicht so gespannt hatte. Mit einem Stöhnen quälte sie sich aus ihren Schuhen und schmiss sie unordentlich auf den Boden.
Eigentlich wollte sie heute einkaufen gegangen sein. Da sie aber erst um 21.40 Uhr das Büro verlassen hatte, war es dafür schon zu spät. Nach den Geschehnissen der letzten Stunde n hatte sie noch nicht einmal Hunger, obwohl sie das letzte Mal zum Frühstück etwas gegessen hatte. Das heißt, es stimmte nicht ganz. Anstelle eines vernünftigen Abendessens hatte sie einen Müsli-Riegel in sich reingestopft. Sie musste an das fröhliche Foto denken, das ihr Volkert Eilers von seiner Tochter gezeigt hatte. Ihr Gehirn verglich es mit den Eindrücken der zweiten Toten im Schlosspark. Ihre Augen waren vor Angst weit aufgerissen. Das bleiche Gesicht war zu einer eigenartigen, hässlichen Fratze geworden, ihre Hände krallenartig geformt. Der Gerichtsmediziner Dr. Janssen meinte, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit die Arme des Täters umfasst hatte, um sich gegen die Strangulation zu wehren. Es befanden sich jede Menge Faserspuren unter den Fingernägeln.
Lisbeth regelte die Heizung hoch, ging zum Fenster und umarmte sich selbst, während sie nach draußen starrte. Ihr war entsetzlich kalt. Jetzt noch ein Bad einzulassen, darauf hatte sie keine Lust mehr. Sie setzte sich unter eine flauschige Wolldecke auf die Couch.
War es Zufall, dass der Täter Annika Eilers im Schlosspark in Rastede abgelegt hatte? Wohl kaum.
Entwede r handelte es sich um denselben oder einen Nachahmungstäter, der vom ersten Fall in der Zeitung gelesen hatte und den Verdacht von sich ablenken wollte. Dafür sprach, dass Annika mit einem Seil erdrosselt wurde, wie es - bewusst falsch - an die Presse weitergegeben worden war. Der Fundort von Annikas Leiche lag einige hundert Meter von der Stelle entfernt, an der Elena Wagner aufgefunden worden war. Heute hatten sie, anders als bei der ersten Leiche, das mutmaßliche Tatwerkzeug, ein handelsübliches Nylonseil, gefunden.
Lisbeth entkorkte einen Dornfelder , goss sich eine großzügige Menge Rotwein in ein Glas und nahm einen kräftigen Schluck. Sie griff sich ihren Laptop, verschwand wieder unter der Decke und checkte zunächst die neuen Meldungen in ihrem Facebook-Profil, anschließend ihr E-Mail-Konto. Sie fand lauter unbedeutende Nachrichten bis auf eine, die von Ansgar Brinkmann war. Der Typ hatte echt Nerven, monatelang hatte er sich nicht mehr gemeldet. Lisbeth hatte ihn schon komplett aus ihrem Gedächtnis gestrichen, zumindest hatte sie es hartnäckig versucht. Sie hatte für solche Hallodris nichts übrig, die von Blume zu Blume flogen, bei denen jede Frau austauschbar oder einfach nur eine Nummer war. Zugegeben, er sah verdammt gut aus und verfügte auch über eine tolle Ausstrahlung. Wenn der hohe Herr dann endlich mal Zeit für sie erübrigen konnte, zeigte er sich auch von seiner charmantesten Seite und gab ihr das Gefühl, einzigartig zu sein. Bis er sie an einem Abend in einer Kneipe fast die ganze Zeit links liegen ließ, als seine Ex-Freundin sich zu ihnen an den Tisch setzte . Er versuchte Heike auf den Mund zu küssen. Sie wich aus, und er versuchte es weiter, was es noch peinlicher für alle anwesenden Frauen machte.
» Es war sehr schön, aber alles hat seine Zeit«, so läutete sie ihren Abgang ein und verließ das Lokal.
Sie fragte sich, warum sie die E-Mail nicht einfach löschte. Obwohl er sich so mies ihr gegenüber verhalten hatte, hatte er ihr andererseits jedes Mal das Gefühl gegeben, fliegen zu können. Wenn er mit ihr zusammen war, hob das ihr Selbstbewusstsein, dann war sie die souveränste Variante von sich selbst. Sie fühlte sich dermaßen cool, schlagfertig und sexy, dass sie kurz davor war, die Weltherrschaft an
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