Tod im Palazzo
begleitete sie zur Tür. Lachend erklärte das Mädchen: »Man bekommt sie ziemlich billig, aber natürlich sind sie gestohlen.«
»Sehr wahrscheinlich.«
Während das Mädchen das Wartezimmer durchquerte, erhob sich eine ältere Frau mühsam von ihrem Stuhl und ging mit besorgter Miene auf den Wachtmeister zu.
»Herr Wachtmeister, Sie müssen mir helfen. Ich weiß nicht mehr weiter. Ich habe Angst, aus dem Haus zu gehen. Direkt vor meiner Tür liegen sie jetzt schon mit ihren Spritzen. Warum können Sie nichts machen?«
»Treten Sie ein, Signora«, sagte der Wachtmeister. »Kommen Sie rein und erzählen Sie mir alles.«
Und so verbrachte er den Vormittag, geduldig und zäh seiner Arbeit nachgehend. Aber so sehr er sich auch bemühte, den kleinen Problemen der Bewohner seines Viertels seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken, ständig spürte er den Knoten der Angst in seiner Brust, der ihn stärker ermüdete, als irgendeine Arbeit ihn erschöpfen konnte. Während er sich Klagen und Beschwerden anhörte oder ihre persönlichen Ausschmückungen auf konkrete Angaben reduzierte, die er mit der Schreibmaschine in ein Formular eintrug, wanderten seine großen Augen immer wieder zu dem stummen Telefon neben ihm. Die ersten Stunden hatte er noch unruhig geguckt, da er mit einem wütenden Anruf des Staatsanwalts rechnete. Später, als klar war, daß ein solcher Anruf nicht kommen würde, änderte sich seine Miene. Offenbar interessierte es niemanden, ob er dorthin ging oder nicht, ob er pro forma irgendwelche Fragen stellte oder nicht, vorausgesetzt, er würde einen Bericht abliefern, der ihnen genehm war.
Als der letzte Besucher gegangen war, überlegte er eine Weile, ob er seinen Vorgesetzten im Hauptquartier Borgo Ognissanti, drüben auf der anderen Arno-Seite, anrufen sollte. Hauptmann Maestrangelo war ein guter Mann, ein ernster Mann. Aber er war auch ehrgeizig, er würde eines Tages General sein, und zwar einer von der besseren Sorte. Seufzend beschloß der Wachtmeister, ihn nicht um Hilfe zu bitten. So tun als ob, mehr wurde von ihm nicht erwartet, also würde er so tun als ob. Und wenn er sich lächerlich machte – es war nicht das erste Mal und auch nicht das letzte Mal. Mittagessen, dann etwas ruhen, und dann zum Palazzo Ulderighi.
Er aß, konnte anschließend aber keine Ruhe finden. Unter dem Vorwand, daß er viel zu tun habe und nicht müde sei, knöpfte er seine Uniformjacke zu und verließ die Wache. Unter dem steinernen Torbogen setzte er seine Sonnenbrille auf und trat hinaus in die blendende Helligkeit des Vorplatzes. Die Hitze flimmerte über den dort geparkten Autos, und es roch nach frischer Pizza und Kaffee. Der Kaffeeduft lockte ihn, obwohl er nicht schon wieder einen trinken sollte. Eine Weile widersetzte er sich der Verlockung, schob sich, so gut es ging, auf dem engen Bürgersteig durch die Touristenmassen, die vor jedem Laden und jedem Denkmal stehenblieben, ihre Stadtpläne studierten, diskutierten oder Preise in Mark oder Dollar umrechneten. Wie gern wäre er nur einmal ein Tourist wie sie, dann könnte er die eingerüstete Fassade des Palazzo Ulderighi angucken wie dieses Paar dort drüben, den Reiseführer konsultieren und dann weiterschlendern und die Auslagen eines Lederwarengeschäfts betrachten und brauchte nicht daran zu denken, was hinter dieser hohen Tür vor sich ging, vor der er jetzt stehenblieb. Er zögerte zu klingeln. Einen Moment stand er da, und mit seiner uniformierten Leibesfülle blockierte er den Touristen den Weg, so daß sie auf die Straße ausweichen mußten, wenn sie vorankommen wollten. Dann drehte er sich um und ging über die Straße zu Gino's.
»Ah, Sie sind's…«
Gino guckte überrascht, denn er konnte sich noch gut an die Bemerkung erinnern, die der Wachtmeister am Abend zuvor beim Weggehen gemacht hatte. »Ich dachte schon, die Pizza gestern hätte Ihnen nicht geschmeckt.«
»Was? Nein, nein… sie war ausgezeichnet. Könnte ich wohl nur eine Tasse Kaffee bekommen?«
»Tja, normalerweise… aber weil Sie's sind…«
Er bediente den Wachtmeister persönlich. »Sie können hier vorne sitzen, wenn Sie wollen. Um diese Zeit ist es hier nicht voll.«
»Nein, nein.«
Der Wachtmeister blieb bei der Kasse stehen und guckte zur Straße hinaus.
»Irgendwas los da drüben, hm? Ich habe gehört, ihr Mann ist tot.«
»Ja, er ist tot.«
Ihr Mann, der Prinzgemahl. War dies das Bild, das alle Leute von ihm hatten? Dennoch hatte er seine eigene Firma, er muß eine
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