Tod im Palazzo
ermordet hatte, und angeblich ließ er in die Kellerwand, hinter der man die Leiche seines Vaters eingemauert hatte, die folgende Inschrift meißeln:
MEIN LEIDEN IST NUN VORBEI, UND ES BEGINNT DAS DEINE.«
»Es stimmt also…«
Der Wachtmeister, der die ganze Zeit still und aufmerksam wie ein braver Schüler dagesessen hatte, sah sich jetzt unruhig um und vermerkte erneut mit Mißbehagen, daß es in diesen Zimmern kein Fenster gab. Er sah beim Nachdenken gern zum Fenster hinaus, auch wenn es mehr ein zielloses Hinausstarren war. Hier fühlte er sich eingeengt.
William blätterte noch immer in den Fotokopien.
»Es stimmt tatsächlich. Die Ulderighi wurden immer wieder von Unglücksfällen heimgesucht – o ja, sie haben es immer geschafft, durch wechselnde Bündnisse mit den Starken an der Macht zu bleiben, das heißt, sie sind Bündnisse mit niemandem und nichts eingegangen außer mit sich selbst. Sie waren bei Hofe, als die österreichischen Großherzöge über Florenz herrschten, und obwohl sie Cavours Einheitsbestrebungen zutiefst ablehnten, waren sie wieder bei Hofe, als Florenz die erste Hauptstadt des Königreichs Italien wurde. Sie überlebten die beiden Weltkriege und den Aufstieg und Fall des Faschismus, und es gibt sie noch immer. Natürlich haben sie ihr Geld verloren, aufgrund der Steuergesetze und weil ihre vernachlässigten Güter von der neuen Republik beschlagnahmt wurden. Trotzdem, so gesehen haben sie nicht schlecht überlebt. Der Fluch – und jeder betrachtete Cinellis Inschrift als einen Fluch – bezog sich auf die Erbfolge.«
»Ich wollte nur sagen«, sagte der Wachtmeister, »es stimmt, was die Alte uns erzählt hat. Der Mord im Keller. Ich hätte nicht gedacht…«
»Sie haben wohl gedacht, sie phantasiert, aber es stimmt alles, und alles wird von zeitgenössischen Chronisten auf Cinellis Fluch zurückgeführt. Sie haben alle ihre Erben verloren. Francesco war der erste.«
»Francesco…«
Der Wachtmeister dachte an die weitschweifige Erzählung der tata zurück. »Ah, derjenige mit dem Blumenkranz auf seinem Grab, der irgendeinen Unfall hatte, ja?«
»Genau. Er war der älteste Sohn. Es gab zwei Söhne, und Neri wollte Francesco mit einer Tochter der Familie Della Loggia verheiraten, einer gewissen Lucrezia. Francesco, wenn Sie sich erinnern, war der gutaussehende, und den Blumenkranz trug er zur Hochzeit. Es ist eine hübsche Geschichte… Warten Sie, es muß hier sein, es ist nämlich bald nach Fertigstellung des Hauses passiert. Ich erinnere mich, daß ich es irgendwo gesehen habe. Es fängt an mit ›Francesco und Lucrezia Della Loggia wurden‹… Francesco und Lucrezia Della Loggia… Ah: Neri Ulderighi hatte zwei Söhne… hier, bitte: Francesco und Lucrezia Della Loggia wurden einander als Eheleute versprochen. Am 24. Juni, zu Johanni, am Tag des Schutzheiligen von Florenz, verließ der schöne Francesco, in Weiß gekleidet und mit einem Blumenkranz auf dem Haupt, auf seinem Pferd den Palazzo Ulderighi, um zu seiner Vermählung zu reiten. Ihm zu Ehren wurden draußen vor den Toren Trommeln geschlagen und Seidenfahnen geschwenkt. Als er aus dem dunklen Hof hinaus in den hellen Sonnenschein jenes Junitages kam, wirbelte eine Fahne direkt vor dem Kopf seines weißen Hengstes. Das Pferd scheute und bäumte sich auf und warf Francesco ab. Er fiel mit dem blumengeschmückten Kopf gegen das große steinerne Portal, und der Palazzo Ulderighi mußte sein zweites Opfer beklagen. Viele schoben es auf den Cinellischen Fluch, aber manche glaubten, daß der Fahnenschwenker im Solde gewisser Familien stand, die den vereinten Einfluß der Familien Ulderighi und Della Loggia am Hofe Lorenzos mit Neid betrachteten.«
»Da haben Sie's.«
William legte die Dokumente halbwegs geordnet wieder auf den Tisch. »Cinellis Fluch. Deshalb haben sie das arme Mädchen mit dem häßlichen, stinkenden Bruder verheiratet, der sich als Fiesling herausstellte, so daß sie, unserer alten tata zufolge, nicht anders konnte, als seine kleine Freundin enthaupten zu lassen. Obwohl, ich habe meine eigene Theorie, warum sie die mörderische Lucrezia in Schutz nimmt. Sie sieht nämlich unserer Marchesa so ähnlich, daß die tata sie verwechselt. Ich wünschte, Catherine wäre hier, denn sie hat die Schlüssel. Wie auch immer, sobald sie zurück ist, wird sie Sie in den Keller bringen, dann können Sie Cinellis Inschrift sehen.«
»Ich weiß nicht«, sagte der Wachtmeister und stand auf, »ob das unbedingt…«
Er
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