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Tod im Palazzo

Tod im Palazzo

Titel: Tod im Palazzo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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Wachtmeister, als überlegte er, wohin mit ihm, doch der stand so weit entfernt, daß er die geflüsterten Anweisungen nicht verstand.
    Der Sarg wurde vor der Gruft abgestellt. In diesem Moment sah der Wachtmeister Neri Ulderighi zum erstenmal. Was hatte er eigentlich erwartet? Er war sich nicht sicher, aber bestimmt nicht das, was er sah. Neri war größer, irgendwie korpulenter, als er ihn sich nach so viel Gerede über seine zarte Konstitution vorgestellt hatte. Wenn er nicht neben seiner Mutter gestanden und der Priester auf der anderen Seite nicht seinen Arm gestützt hätte – der Wachtmeister hätte nicht geahnt, wer er war. Er hatte kaum Zeit, die Szene zu registrieren, als andere Leute ihm den Blick zu verstellen begannen und er gezwungen war, so unauffällig wie möglich zur Seite zu treten, während der Erzbischof seine Gebete sprach, die, wie er hoffte, das Geräusch seiner Schritte auf dem Kies übertönen würden. Da. Jetzt konnte er beide sehen… eine ältere Frau neben der Marchesa, vielleicht eine Tante. Sie sah krank aus, fand er, das Gesicht kreidebleich, rote Ringe unter den Augen. Sie stützte sich auf einen Stock.
    »Staub bist du, und zu Staub…«
    Er trat noch weiter zur Seite. Die Beine der alten Tante waren geschwollen, was er schon geahnt hatte. Aber Neri, Neri war so überraschend. Wie ein alter Mann stand er da. Die Tante hielt sich mit Hilfe ihres Stockes kerzengerade. Die Marchesa stand so aufrecht und unbeweglich da wie der weiße Marmorengel, dessen Flügel sich hinter ihrem Kopf gegen die schwarze Zypresse abzeichneten. Neri jedoch war voller Unruhe, obwohl der Priester ihn stützte oder beruhigte. Nicht eine Sekunde hielt er den Kopf still. Wie alt, hatten sie gesagt, war er? Mindestens Anfang zwanzig. Das Haar, blond wie das seiner Mutter, lichtete sich schon. Der Kopf, der sich ständig bewegte, hierhin und dorthin, als suchte er etwas, war selbst für diesen dicklichen, schlaffen Leib zu groß. Auch wenn er geisteskrank sein mochte, die Augen, die der Wachtmeister gerade eben erkennen konnte, waren hell und klug.
    »Möge seine Seele und die Seelen aller Verstorbenen, durch die Güte des Herrn…«
    Noch ein klein wenig näher. So eine Chance würde er nie wieder bekommen… Dann war er erneut überrascht. Die hellen Augen, die unruhige Haltung, der hin und her geworfene Kopf, alles hatte eine ganz einfache Erklärung. Neri Ulderighi weinte.
    Der Wachtmeister ließ seinen Blick über den Rest der Trauergemeinde schweifen. Da stand eine Gruppe, Eltern und ein kleines Mädchen, die irgendwie aussahen, als gehörten sie nicht dazu, obwohl sie, nach ihrer Position zu urteilen, nahe Verwandte sein mußten – das heißt, Verwandte von Corsi. Der arme Prinzgemahl hatte selber Angehörige, an die der Wachtmeister nicht einmal gedacht hatte. Einige Trauergäste mochten zu weiteren Zweigen der Familie Ulderighi gehören. Dann ein paar prominente Würdenträger, die der Wachtmeister zum Teil erkannte. Die Bediensteten… Grillo sah in seinem engen Anzug sehr merkwürdig aus. Die alte tata konnte er nicht sehen, aber sicher war sie zu alt und gebrechlich… Leo! Das mußte Leo sein, wer sonst. Stiernackig und dickschädelig. Das Haar kurzgeschoren, zweifellos deswegen, damit andere Spieler ihn nicht daran ziehen konnten. Seine Eltern waren nicht zu sehen, aber irgendwo würden sie schon sein. Die Bediensteten waren nicht in der Kapelle gewesen, nur die Familienangehörigen und die prominenten Gäste. Von den Mietern keine Spur.
    Der Wachtmeister wollte sich alles ansehen, konnte sich aber nicht konzentrieren. Sein Blick kehrte immer wieder zu Neri Ulderighi zurück, der unablässig weinte.
    Er hat geschrien, dort oben… William Yorke hatte ihn schreien hören. Schreie in der Dunkelheit. Auch der Wachtmeister hatte ihn im Dunkel gehört, wenngleich er nicht ganz sicher war. Ihm schien, als habe er in der Dunkelheit Flöte gespielt. Der Wachtmeister nahm verständlicherweise an, daß der Junge Probleme mit den Augen hatte, weshalb er ihn hinter seiner Sonnenbrille mit gesteigerter Neugier betrachtete. Wie oft hatte er erlebt, daß die Leute ihn anstarrten, weil sie glaubten, er weine, wenn er einfach vergessen hatte, seine Sonnenbrille aufzusetzen. Aber die Bewegungen? Der Kopf, den er hin und her warf? Bestimmt weinte er.
    Die Gebete waren zu Ende, und der Sarg wurde in das Innere der Familiengruft getragen; das einzige Geräusch waren die Schritte der Sargträger auf dem Kies, dann

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