Tod im Palazzo
Stille, von Vogelgezwitscher unterbrochen. Der Blick des Wachtmeisters, der seinen jungen Kollegen suchte, ging wieder zu Neri, doch diesmal stellte er überrascht fest, daß Neri seinen Blick erwiderte. Offenbar weinte er nicht mehr, aber trotzdem wurde er von dem Priester gestützt, der sich jetzt anschickte, ihn fortzuführen. Neri blieb stehen und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dann sah er wieder zum Wachtmeister herüber. Was wollte er wohl? Der Wachtmeister selbst hatte, ohne es erklären zu können, das deutliche Gefühl, daß er Hilfe suchte.
Nun war es der Priester, der sprach, wobei er die gestikulierenden Hände dicht an den Mund hielt, als flüsterte er. Der Wachtmeister beobachtete sie so reglos, daß eine Amsel an seinen Stiefeln vorbeihüpfte, ihr Ständchen trällerte und weiterhüpfte auf das Rasenstück hinter ihm. Der Priester legte den Arm um Neris Schulter. Neri war viel größer und kräftiger, aber es war unverkennbar, daß der Priester die Situation dominierte. Neri hatte etwas von einem großen Kind. Genau so würde sich ein Kind verhalten, das gegen seinen Willen weggeführt wurde – es würde stehenbleiben und sich nach dem Wachtmeister umsehen.
Der Wachtmeister konnte sich keinen Reim darauf machen. Er betrachtete das Familiengrab der Ulderighi und dann den großen weißen Engel, der, wie er jetzt sah, das Grab eines Kindes bewachte. Corsis Gebeine ruhten, und in den Zypressen sangen kleine unsichtbare Vögel.
7
»Er arbeitet in der Markthalle und soll genauso brutal sein wie er auf den Fahndungsfotos aussieht.«
Lorenzini hatte das Foto in der Hand, während er mit müden Augen von seinem nächtlichen Einsatz berichtete. Er hatte schon lange nicht mehr die ganze Nacht durchgearbeitet, und alles tat ihm weh. Er war nicht einmal aufgefordert worden, sich hinzusetzen. Der Wachtmeister stand am Fenster, die Schultern gebeugt, den Rücken dem jungen Gefreiten zugewandt, und nach seiner mürrischen Art hätte man annehmen können, daß er es war, der die Nacht durchgearbeitet hatte.
»Tut mir leid, aber es gab einfach nichts«, fuhr Lorenzini fort.
»Ich werde mich natürlich weiter bemühen, aber es ist nicht ganz einfach, weil sie völlig verschiedene Jobs haben. Wenn der eine schlafen geht, steht der andere auf.«
»Was ist mit dem Fußballturnier? Hat Mücke nichts damit zu tun? Es muß doch eine Verbindung zwischen Mücke und jemandem im Palazzo Ulderighi geben. Wer außer Leo könnte das sein? So ein Schläger wie er, spricht doch einiges dafür.«
»Das habe ich als erstes überprüft. Er kann nicht mitspielen, weil er vorbestraft ist – Sie werden es nicht glauben, aber die Spieler sollen, theoretisch zumindest, aus den vornehmen Familien der Stadt kommen.«
»Hmmm.«
»Früher war das sicher mal so. Jedenfalls, Mücke hatte etwas mit dem Fußballturnier zu tun, vor Jahren, noch lange vor Leo. Er ist ja auch viel älter.«
Zu Lorenzinis Erleichterung wandte sich der Wachtmeister schließlich um und sah ihn aufmerksam an.
»Warum setzen Sie sich nicht? Sie sehen müde aus.«
»Danke.«
Lorenzini ließ sich in den erstbesten Stuhl fallen, während der Wachtmeister stehen blieb und auf die Karte seines Bezirks starrte, als könnte sie ihm verraten, wo der Deal zwischen Mücke und Leo vereinbart worden war, der dann zu Mückes Fingerabdrücken auf Buongianni Corsis Schuhen geführt hatte.
»Und der Club, wo Leo arbeitet?«
»Ich war gestern abend dort. Er ist Rausschmeißer und steht die meiste Zeit vor der Tür – allerdings nicht gestern, weil heute ja das Spiel stattfindet. Es ist ein Privatclub, eine Art Minidisko.
Scheußliche Bude, grau und schwarz, unter der Erde, zum Ersticken. Ich habe mir das Mitgliederverzeichnis angesehen. Mücke steht nicht darauf. Ich habe auch das Foto herumgezeigt für den Fall, daß die Stammgäste ihn mal gesehen haben. Nichts. Ich bin geblieben, bis der Laden geschlossen wurde. Es sieht hoffnungslos aus. Mücke muß frühmorgens zur Arbeit, während unser Leo schnarchend im Bett liegt.«
»Versuch's mit Bars – und Restaurants, zur Abendessenszeit sind beide vermutlich wach. Vielleicht sogar die Pizzeria gegenüber vom Palazzo. Nein, warte. Geh nach Hause und ruh dich aus. Überlaß das mir.«
Der Wachtmeister nahm das Fahndungsfoto, warf sich die Jacke über und steckte das Bild ein. »Ich gehe zum Palazzo Ulderighi. Ich fange einfach an… was ist mit seiner Akte? Hast du…«
»Ich habe den ganzen Vormittag damit verbracht, aber
Weitere Kostenlose Bücher