Tod im Palazzo
zu einem Tisch, auf dem lauter kleine Lederschächtelchen standen. »Ich habe gehört, Sie sammeln.«
Es war so leicht, als wollte man ein Kind ablenken. Die gepeinigten Augen wurden von Freude erfüllt.
»Ja, richtig. Ich verwende fast meine ganze Zeit darauf. Verstehen Sie etwas von antiken Münzen und Medaillen?«
»Leider, nein, nichts.«
»Schade, aber warum sollten Sie… Sie haben bestimmt viel zu tun, und dann… Pater Benigni hat mir klugerweise gesagt, daß es nicht recht wäre, Ihre Zeit unnötig in Anspruch zu nehmen. Pater Benigni nimmt immer sehr viel Rücksicht auf die Bedürfnisse und Schwierigkeiten anderer Leute. Er will mir immer beibringen, so zu sein wie er, aber ich fürchte, ich bin ein schlechter Schüler.«
»Sie haben Ihre eigenen Probleme. Ich habe gehört, daß Ihre Gesundheit…«
»O ja, gewiß, aber Gott läßt uns nie mehr leiden, als wir ertragen können. Ich bin fest davon überzeugt, und Sie?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht.«
»Oh, ich bin sicher. Außerdem, wissen Sie, jeder hat Probleme. Ich bin krank, aber ich habe auch viele Spezialisten, die sich um mich kümmern. Ich denke oft an all die Kranken in der Welt, die niemanden haben, keine Möglichkeit… Sie verstehen?«
Der Wachtmeister konnte ihn nur verblüfft anstarren. Dieses merkwürdige erwachsene Kind kannte keine Arglist, keine Heuchelei, keine Arroganz. Wie in Gottes Namen hatte die Marchesa Ulderighi eine so unschuldige Seele zur Welt gebracht? Schlug bei ihm irgendein entfernter Vorfahre durch – die Seherin auf dem Fresko?
»Ich hätte Ihnen gern meine Sammlung gezeigt, aber Pater Benigni – es ist einsam, manchmal.«
»Gehen Sie nie raus?«
»Nach draußen?«
Die Vorstellung schien ihn zu verwundern. »Ich… meine Mutter fährt im Sommer mit mir aufs Land. Die Hitze hier ist schlecht für mich, sagen sie. Hier gehe ich selten nach draußen. Es gibt soviel Krach, der Verkehr und so, für jemanden mit zarten Nerven kann das ein Problem sein. Aber die Leute sind sehr freundlich… der Händler beispielsweise, der mir die meisten der Münzen verkauft hat, bringt mir oft Dinge und zeigt sie mir. Ich finde das sehr aufmerksam von ihm, denn er kommt außerhalb der Geschäftszeiten, finden Sie nicht?«
Der Wachtmeister fand, daß das sehr einfallsreich und zweifellos sehr lukrativ war, behielt aber seine Meinung für sich.
»Ist das eine Familiensammlung, die Sie erweitern, oder haben Sie selbst damit angefangen?«
Was hätte er Neri nicht alles fragen wollen! Und jetzt stellte er alberne Fragen über eine Münzsammlung, weil man ihn gebeten hatte, vor diesem jungen Mann zu erscheinen, und der Schatten des Oberstaatsanwalts über ihnen lag.
»Angefangen damit hat meine Urgroßmutter. Die Familie besaß schon ein paar bedeutende Objekte, aber sie waren einfach da, verstehen Sie. Es war im Grunde keine Sammlung.«
»Ach so.«
»Das eine oder andere wurde verkauft… leider… weil… ähm, heute sind sie im Bargello-Museum. Eine sehr schöne Sammlung, sehr schön… Ah, der Tee.«
»Wie bitte?«
Neris feine Ohren hatten ein Geräusch bemerkt, das dem Wachtmeister nichts sagte, doch dann öffnete sich eine Dienstbotentür, wie er sie in den Erdgeschoßwohnungen gesehen hatte, und Grillo trat mit einem schwankenden Tablett herein.
»Ach, Sie sind es! Tee für zwei. Kleiner Besuch.«
Er knallte das Tablett auf ein Marmortischchen und drohte Neri mit der Faust: »Iß endlich!«
»Ich werd's versuchen…«
»Du wirst aufessen oder mir eine Erklärung liefern. Ich bin doch nicht umsonst dreihundert Stufen mit dem Zeug da hinaufgestiegen!«
Von einem Bein aufs andere hüpfend, stellte er Tassen und Teller hin. Man konnte unmöglich erkennen, ob er wirklich wütend war oder nur so tat. Neri schien ihn ernst zu nehmen und seine Grobheit als normal zu akzeptieren.
»Die Stufen fallen dir schwer, ich weiß.«
»Ha!«
Er führte einen grotesken kleinen Tanz auf. »Der Wachtmeister sieht das ganz anders. Der Wachtmeister denkt wahrscheinlich, ich sollte in einem Zirkus auftreten.«
»Ich…«
»Die Wahrheit ist…« – er tätschelte Neris breite Schulter und wedelte mit der anderen Hand vor seinem Gesicht herum –, »wenn ich deine Beine hätte und du meine Energie, dann würde irgendwo ein normaler Mensch herumlaufen.«
»Stimmt.«
Neri schien erfreut. »Aber hier oben, Grillo, wer hat's hier oben?«
»Du. Aber ich bin schlau, und das ist was ganz anderes. Wenn du schlau wärst, würdest du
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