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Tod im Palazzo

Tod im Palazzo

Titel: Tod im Palazzo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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schwer atmend die enge Wendeltreppe hochstieg, hinter dem Zwerg, der beide Hände zu Hilfe nahm, um seinen kurzen Leib an dem dicken, durch eingemauerte Eisenringe laufenden Seil hochzuhieven. Der Wachtmeister war allein durch die Dienstbotentür eingetreten und hatte Neri vor dem Fenster sitzen sehen, etwas abgewandt, über die Flöte gebeugt, den Rücken gestreckt, zum Fluß der Musik sich leicht hin und her wiegend. Dann hörte er auf zu spielen, legte die Flöte behutsam auf das Knie und lehnte sich zurück. Ein Seufzer entfuhr ihm, und es klang fast wie ein Schluchzer.
    Da der Wachtmeister ihn nicht in Verlegenheit bringen wollte, ging er die paar Schritte zurück, klopfte an der Tür und machte sie hüstelnd hinter sich zu. Die Gestalt im Stuhl rührte sich nicht und sah sich nicht um.
    »Du sollst dich nicht so anstrengen«, sagte Neri mit trauriger Stimme. »Ich benötige nichts. Du brauchst mir das Abendessen nicht hochzubringen. Bleib hier bei mir und mach dich lustig über das dumme Kind. Du hast guten Grund, ich kann dir sagen. Die ganzen Jahre habe ich Angst vor dem Sterben, und jetzt… jetzt spüre ich nur noch Traurigkeit, weil ich so vieles nicht mehr erleben werde… Flüsternde Flöten zur Abendzeit, Seegras am Ufer bloß… Eine so schwere Trauer. Grillo, bleib bei mir und bring mich zum Lachen.«
    Dann wandte er den schweren Kopf um. Das Gesicht war gerötet von Medikamenten, die Augen leuchteten zu sehr.
    »Ach, Sie sind's… Verzeihen Sie mir. Heute werde ich Ihnen… Sie sind ein vielbeschäftigter Mann, und ich sollte Ihnen helfen… ich werde Ihnen erzählen, aber heute…«
    »Schsch…«
    Der Wachtmeister legte seine mächtige Hand auf Neris Schulter.
    Eine Masse von ausdruckslosen weißen Gesichtern wogte hin und her im Halbdunkel, sich windende schwarze Körper vor schwarzen Wänden, kaum auseinanderzuhalten, wie gelenkt von den ohrenbetäubenden Schlagzeugrhythmen, und aus dem Dunkel zuckten immer wieder silberne Blitze auf starre Augen und eingefrorene Körperhaltungen.
    Lorenzini brüllte dem Wachtmeister etwas zu, aber dessen Versuche in Lippenlesen blieben erfolglos. Im Grunde mußte ja auch gar nichts gesagt werden. Wie sollten sie Leo in dieser Menge überhaupt ausfindig machen? Ihr Pech, daß Leo an seinem freien Abend – angeblich sollte er sich für das Endspiel am darauffolgenden Tag schonen – ausgerechnet die Disco aufsuchte, in der er arbeitete – ein schwarzer, unbelüfteter Keller, der wahrscheinlich nur für halb soviel Personen gedacht war, wie hier einander auf den Füßen herumtrampelten. Der Wachtmeister wußte, wenn sie Leo nicht schnell fanden, würde er sich nach draußen kämpfen müssen, denn schon tränten seine Augen vor lauter Rauch, und er bekam kaum noch Luft.
    »Was?«
    Was wollte Lorenzini… und jetzt deutete er gestikulierend auf die Ecke hinter dem Wachtmeister.
    Hatte er Leo gesehen? Eine unmögliche Situation! Sich mit jemandem in einer Menge zu treffen, hieß für den Wachtmeister, stocksteif dazustehen, wie ein Orientierungspunkt, bis man den Betreffenden gefunden hatte. Hier würde diese Methode nicht funktionieren, nicht nur weil seine dunkle Uniform, statt ihn hervorzuheben, an diesem Ort praktisch als Tarnung wirkte, sondern auch deswegen, weil Leo wahrscheinlich weglaufen würde, wenn er seine Besucher zufällig sah. Zum Glück gab es nur eine Tür, aber der Wachtmeister wollte sie unbedingt im Rücken haben, solange er zu erkennen versuchte, was Lorenzini… Schließlich wurde es ihm klar. Auf einem erhöhten Podium in einer Ecke bearbeitete ein Discjockey, schwarzgekleidet und mit großen Kopfhörern, die Plattenteller und eine Reihe von schwach beleuchteten Reglern. Wenn dies der reguläre Discjockey war, dann mußte er Leo kennen, und von dort oben hatte man eine größere Chance, ihn zu sehen. Der Wachtmeister hatte Lorenzini sein Einverständnis signalisiert. Der junge Gefreite war schlank und beweglich, konnte sich sehr viel besser durch die Masse winden als der Wachtmeister, der sich in der Rolle des Ausgangsblockierers sehr viel wohler fühlte. Lorenzini verschwand in der Menge und erschien kurze Zeit später wieder auf dem Treppchen zum Podium. Der hochgewachsene junge Mann mit den großen Kopfhörern, auf dessen Gesicht von unten her der rötliche Schein des Steuerpults fiel, reagierte erst, als Lorenzini seinen Arm antippte. Da sah er nach unten, hob die Hand, um Lorenzini zu signalisieren, daß er einen Moment warten solle, und

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