Tod im Pfarrhaus
und findet immer die richtigen Worte. Außerdem hat er eine gesellschaftliche Stellung und ist wohlhabend. Sie haben ja selbst gesagt, dass er reich ist.«
»Stimmt. Ich sehe ein, dass ich den falschen Beruf gewählt habe«, sagte Glen und lächelte.
Irene betrachtete sein hübsches Profil und die Grübchen in seinen Wangen. Bei ihm würden trotzdem alle Frauen schwach werden, obwohl er kein Vermögen besaß.
Dieses Mal war es nicht so einfach, einen Parkplatz zu finden. Sie mussten den Wagen in der Nähe des Grosvenor Square abstellen. Der Vorteil war, dass sie von dort aus bis zur Praxis von Doktor Fischer ein Stück laufen konnten.
Der Regen hatte aufgehört, und die dünne Wolkendecke riss auf. Die Luft fühlte sich warm und feucht an, obwohl es nur angenehme zwanzig Grad hatte. Die Abgase hingen wie ein öliger Nebel zwischen den Häusern. Irene zog die Jacke aus, unter der sie eine kurzärmelige Bluse trug. Trotzdem war sie am Rücken verschwitzt, noch ehe sie die Praxis erreicht hatten.
Die kühle Luft im Treppenhaus war angenehm. Wie beim vorigen Mal stand John Fischer in der Tür und wartete auf sie.
»Guten Morgen. Das hier muss schnell gehen. Sie ist in einer schlechten Verfassung«, sagte er ohne lange Vorrede.
Sie gingen durch das Wartezimmer in dasselbe Zimmer, in dem sie schon beim letzten Mal gewesen waren.
Rebecka saß im selben Sessel am Fenster. Sie trug denselben schwarzen Hosenanzug. Statt des weißen Rollkragenpullovers hatte sie ein glänzendes weißes Seidentop an. Trotzdem bekam Irene einen Schock, als sie näher kamen.
In den nicht ganz zwei Wochen, die seit ihrer letzten Begegnung vergangen waren, war Rebecka um zehn Jahre gealtert. Ihr Haar war ungewaschen und glanzlos, ihre Haut gelbgrau. Ihre Augen wirkten riesig in dem noch schmaler gewordenen Gesicht. Das Schlimmste aber war ihr Blick. Beim letzten Mal hatte Irene in ihm noch ganz weit unten die Angst gesehen. Rebecka hatte Gefühle gezeigt. Jetzt waren ihre Augen vollkommen leer, wie tot. Als hätte jemand eine dicke graue Haut über die Frau auf dem Sessel gezogen. Dieses Gefühl wurde noch stärker, als sie versuchten, mit ihr zu sprechen. Keine Worte durchdrangen ihren Kokon. Rebecka versank vor ihren Augen immer tiefer.
»Rebecka geht es alles andere als gut. Ihr Besuch kommt deswegen sehr ungelegen«, sagte der Arzt frostig.
Er strich sich über seinen kurzen Vollbart. Das kratzende Geräusch schien das ganze Zimmer auszufüllen. Glen und Irene sahen sich an. Sie waren ratlos, wie sie die Sache anpacken sollten. Rebecka reagierte nicht, als sie versuchten, sie zu begrüßen. Irene nahm ihre Hand und versuchte so, ihre Aufmerksamkeit zu wecken. Die Hand war vollkommen schlaff und kalt. Irene hielt sie jedoch trotzdem weiterhin fest und begann, da ihr nichts Besseres einfiel, sie vorsichtig zu massieren. Zögernd sprach sie sie auf Schwedisch an.
»Ich weiß, dass Sie eine Menge fürchterlicher Bilder im Kopf haben. Ich habe mit Lisa Sandberg von Rädda Barnen gesprochen. Sie erzählte mir von der fantastischen Arbeit, die Sie und Christian bei der Aufdeckung des Pädophilenrings geleistet haben. Sie erwähnte auch, dass selbst die hartgesottensten Ermittler anschließend Depressionen bekommen hätten. Die Bilder waren offenbar mit das Schlimmste, was sie je gesehen hatten.«
Irene merkte plötzlich, dass Rebeckas Hand einen Moment zu zittern anfing, aber diese Bewegung war so leicht, dass sie sich das vielleicht auch nur eingebildet hatte. Ermutigt fuhr Irene fort:
»Sie sind also nicht die Einzige, die diese Bilder und Filme fürchterlich fand. Es ist alles andere als merkwürdig, dass …«
Irene brach ab, als Rebecka ihr plötzlich die Hand entzog. Sie umklammerte sie mit der linken und presste sie an die Brust. Sie starrte auf den Fußboden und auf einen Punkt neben Doktor Fischers eleganten Schuhen. In dieser Stellung blieb sie, ohne zu blinzeln, wie eine Katatonikerin sitzen. Im Zimmer wurde es wieder vollkommen still und Irene immer mutloser. Es schien unmöglich zu sein, zu Rebecka durchzudringen. War die ganze Londonreise sinnlos gewesen? Da sie keine bessere Idee hatte, sprach sie einfach weiter.
»Ich kann verstehen, dass Sie Ihren Eltern sicher davon erzählt haben, welchen Dingen Sie und Christian im Internet auf der Spur waren. Haben Sie auch Jacob davon erzählt?«
Absichtlich machte Irene eine Pause, um zu sehen, wie Rebecka reagieren würde.
Erst hatte es den Anschein, als hätte sie Irene
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