Tod im Pfarrhaus
auszukennen. Außerdem wusste er sehr viel über die Familie.«
»Ja. Das ist das Hauptargument gegen einen Verrückten. Die Morde scheinen sorgfältig geplant worden zu sein. Nichts scheint dem Zufall überlassen worden zu sein.«
Sie waren bei dem kleinen Hotel angekommen, und Glen hielt an der Bordsteinkante. Irene nahm ihre dunkelblaue Reisetasche und ging die Stufen zum Entrée hoch. Hinter dem Tresen stand Estell mit ihrer randlosen Brille und schaute auf einen Computermonitor. Sie sah hastig auf und lächelte, als sie Irene wiedererkannte.
»Willkommen! Sie haben nicht dasselbe Zimmer, sondern das daneben. Ich hoffe, das geht in Ordnung.«
Sie reichte Irene den Schlüssel und vertiefte sich rasch wieder in die Zahlen auf dem Bildschirm.
Das Zimmer neben dem vom vorigen Mal. Wieder alle Treppen hoch … Irene versuchte, sich damit aufzumuntern, dass sie auf diese Art wenigstens keine Thrombose bekommen würde. Außerdem war Treppensteigen gut für die Kondition.
Das Zimmer sah genauso aus wie das, das sie beim vorigen Mal bewohnt hatte, nur war alles seitenverkehrt. Irene hängte ihre wenigen Kleider in den Schrank - im Übrigen dieselben wie beim letzten Mal. Dann ging sie auf die Toilette. Gerade als sie sich wieder nach unten zu Glen begeben wollte, fiel ihr auf, dass sie nach dem Flug vergessen hatte, ihr Handy wieder einzuschalten.
Auf der Mailbox war Hannu, der sie bat, so schnell wie möglich zurückzurufen. Das tat sie, aber er ging nicht an den Apparat. Wahrscheinlich verhörte er einen der Rockerbrüder. Irene war heilfroh bei dem Gedanken, dass ihr das erspart blieb.
Fröhlich eilte sie die schmale Treppe hinunter. Glen saß in der Lobby und rauchte eine Zigarette. Er drückte sie aus, als Irene die letzte Treppenstufe hinunterging.
»Estell lädt uns unten im Frühstücksraum zu Kaffee oder Tee ein. Dort können wir auch eine Kleinigkeit essen, ehe wir zu Fischers Praxis fahren«, sagte er.
»Klingt gut.«
Irene war hungrig, denn das Frühstück im Flugzeug war bescheiden gewesen. Dafür hatte sie dort anständigen Kaffee bekommen und zwar in unbegrenzten Mengen.
Während der Fahrt Richtung Oxford Street erzähl te Glen, was er über Doktor Fischer herausgefunden hatte.
»John Desmond Fischer, Rufname John. Siebenundfünfzig. Die Eltern zogen aus New York hierher, als er vier war. Sie waren sehr wohlhabend. Seit fast dreißig Jahren ist er Psychiater, seit fünfundzwanzig mit eigener Praxis. Er hat einen außerordentlich guten Ruf und ist bei Leuten mit psychischen Problemen ziemlich in. Außerdem ist er sauteuer! Nichts für unsereinen«, meinte Glen und sah Irene vielsagend an.
Ihr war klar, dass Rebecka keinen Arzt konsultierte, der Krethi und Plethi behandelte. Wahrscheinlich hatte Christian Lefèvre dafür gesorgt, dass sich Doktor Fischer ihrer annahm.
Glen fuhr fort:
»Er war dreimal verheiratet. Das jetzt ist seine vierte Ehe. Er hat gerade ein Mädchen bekommen. Aus seinen früheren Ehen hat er schon sieben Kinder. Seine älteste Tochter ist zweiunddreißig und hat selbst zwei Kinder. Jedes Mal, wenn er wieder geheiratet hat, war die Frau jünger als beim Mal davor. Seine neue Frau ist vierundzwanzig. Vor fast elf Jahren hatte er ernsthafte Probleme. Eine achtzehnjährige Patientin beschuldigte ihn, Sex mit ihr gehabt zu haben. Fischer gelang es, sich aus der Affäre zu ziehen. Mehrere Kollegen bezeugten, das Mädchen habe Wahnvorstellungen von sexuellem Missbrauch. Die Ermittlung wurde eingestellt. Das Mädchen erhängte sich wenig spä ter.«
»Wo haben Sie diese Informationen her?«, fragte Irene verblüfft.
»Aus dem Pressearchiv, aus der Regenbogenpresse. Sonst habe ich nichts gefunden. Aber darüber sollte man vielleicht mal nachdenken.«
»Er hat eine Schwäche für junge Frauen. Ein Schürzenjäger.«
Glen nickte. »Was sehen die bloß in diesem Fettsack? Vielleicht können Sie als Frau das ja besser nachvollziehen?«
Sie wollte schon mit den Achseln zucken, erinnerte sich dann aber an Fischers kraftvolle Erscheinung. Er strahlte gebändigte Virilität und Stärke aus. Das dichte Haar, der durchdringende Blick, das Lächeln …
Sie suchte verzweifelt nach dem englischen Wort für Ausstrahlung, kam aber nicht darauf, sondern sagte:
»Aura.«
»Ich verstehe. Eine Aura, die Frauen wahrnehmen. Vielleicht auch Männer.«
»Vielleicht hat es mit seinem Beruf zu tun, dass sich junge Frauen in seiner Gesellschaft sicher fühlen. Er versteht sie, hört ihnen zu
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