Tod im Pfarrhaus
eine Weile nach, ehe sie antwortete:
»Im März.«
»Sind Sie jemals Rebecka Schyttelius begegnet?«
Im Gegenlicht konnten sie ihre Gesichtszüge nicht erkennen, aber Irene merkte, wie sie zusam menzuckte. Dann antwortete sie:
»Einmal. Dieses Jahr war sie an Weihnachten hier.«
»Sie und Christian waren also ein Paar?«
»Nein«, kam es scharf wie ein Peitschenhieb.
Glen sagte nichts, sondern zog nur vielsagend die Brauen hoch. Das hatte die gewünschte Wirkung. Mary Lefèvre hatte das Gefühl, nähere Erklärungen abgeben zu müssen.
»Sie war im Herbst krank gewesen und hatte nicht die Kraft, über Weihnachten nach Schweden zu fahren. Christian wollte sie nicht allein in London lassen, sondern nahm sie mit hierher.«
»Ich verstehe. Was hatten Sie für einen Eindruck von ihr?«
Dieses Mal zog sich das Schweigen wirklich ziemlich in die Länge.
»Sie war sehr still … es war schwer, zu ihr durchzudringen.«
»Das ist auch der Eindruck, den wir von Rebecka haben. Sie ist wirklich sehr krank. Die Morde an ihrer Familie haben ihren Zustand natürlich noch verschlimmert«, sagte Glen ernst.
Plötzlich lächelte er. Seine charmanten Grübchen waren zu sehen.
Dessen ist er sich bewusst, und das ist Teil seiner Strategie, dachte Irene.
»Wie heißt im Übrigen Christians Freundin?«
Die Silhouette vor dem Fenster erstarrte. Ihre Stimme war heiser und gereizt, als sie antwortete:
»Das weiß ich nicht. Das müssen Sie ihn schon selbst fragen.«
»Das werden wir auch.«
Er lächelte noch immer, aber sein Ton war jetzt härter geworden.
»Vielen Dank, dass wir stören durften. Hier ist meine Karte, falls Sie uns noch etwas zu erzählen haben.«
Freundlich lächelnd stand Glen vom Sofa auf. Irene folgte seinem Beispiel. Langsam wie eine Schlafwandlerin begann Mary, auf die Tür der Halle zuzugehen. Sie hatte weder Augen für Irene noch für Glen. Ihre Bewegungen wirkten steif und mechanisch, als sie die Haustür öffnete. Stumm sah sie in ihre Richtung, ohne sie jedoch wirklich anzusehen. Sie schien Angst zu haben. Aber wieso?
»Warum wollten Sie mit Christians Mutter reden?«, wollte Irene wissen.
Sie saßen wieder im Auto und fuhren die Allee entlang.
»Weil sie Christians Mutter ist«, lautete die lakonische Antwort.
Das hatte eine gewisse Logik, wie Irene fand.
Als sie den Innenhof erreichten, parkten sie den roten Mietwagen neben einem neuen silbernen Porsche. Sie stiegen aus und betrachteten das Castle. Hinter ihnen befand sich die dicke Mauer mit dem Torgewölbe, durch das sie gerade gefahren waren. Das Pflaster des Hofs war in Hunderten von Jahren von unzähligen Füßen abgetreten worden und ganz glatt. Das Schloss umgab den Innenhof auf drei Sei ten. Es war ganz aus Feldstein, das Dach aus Schiefer. Die Ecktürme erinnerten an das Märchen von Dornröschen. Vielleicht trug auch der dichte Efeu, der die Wände hochrankte, dazu bei. Einige prächtige Bäume und große Rosenrabatten verliehen der kargen Umgebung aus Stein Farbe und Leben.
Das stabile Portal aus massiver Eiche vor ihnen sah allerdings nicht gerade einladend aus.
»Hier braucht man einen Vorschlaghammer zum Anklopfen«, meinte Glen.
Gerade wollten sie auf das Portal zugehen, als jemand rief:
»Hallo! Hier entlang!«
Die beiden Beamten blieben stehen. Ratlos blickten sie sich um. Da sah Irene einen Mann, der in der Tür des westlichen Seitenflügels stand. Er winkte ihnen zu.
Sie waren erst ein paar Schritte gegangen, als Ire ne erneut stehen blieb. Es war Christian Lefèvre! Als sie sich von ihrer Überraschung erholt hatte, begriff sie, dass sie einem Irrtum aufgesessen war. Das war gar nicht Christian, die Cousins waren sich nur sehr ähnlich.
Andrew St. Clair war größer und kräftiger als Christian, hatte aber dasselbe dunkle Haar. Im Nacken war es zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er trug eine runde Brille und schaute seine Besucher kurzsichtig an. Man hätte die Cousins für Brüder halten können. Vermutlich hatten sich ihre Mütter sehr ähnlich gesehen. Dunkelhaarig und braunäugig. Irene hatte erwartet, dass der schottische Adlige rothaarig sein, abstehende Ohren und einen Überbiss haben würde, eben dem verbreiteten Vorurteil von einem Schotten entsprechen würde.
St. Clair trug einen gestrickten hellroten Pullover. Auf der linken Brustseite war ein Wappen, das Ire ne wiedererkannte, aber nicht zuordnen konnte. Der Kragen im V-Ausschnitt war blendend weiß, der Schlips hellrot und blau gestreift.
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